Herr Peter Tiegs kann aus familiären Gründen seine „Alten Rillen“ erst im Februar vorstellen. Erfreulicherweise konnten dankenswerterweise Herr Heinz Kiesewalter mit seinem für Februar vorgesehenen „Gespräch über Wannseer Persönlichkeiten“ und Frau Hannelore Bolte mit einer Lesung aus dem Jahrbuch 2013 des Heimatvereins Zehlendorf
Von Häusern und Menschen im alten Wannsee
Herr Kiesewalter, bald 90 Jahre alt, erzählt im Zwiegespräch mit Frau Bolte über seine Kindheit und Jugend, die im Elternhaus eines „Droschkenunternehmers“ natürlich von den täglichen Erlebnissen mit Autos bestimmt waren. Berühmte Persönlichkeiten, die sich inzwischen in Wannsee angesiedelten hatten, gehörten zu den regelmäßigen Kunden seines Vaters, die sich gerne und aus den verschiedensten Gründen in „neutralen“ Mietwagen, der Marken „Mercedes“ und „Adler“, einer nach dem Krieg verschwunden „Nobelmarke“, zu den unterschiedlichsten und manchmal weit weg liegenden Zielen fahren ließen, obwohl sie natürlich selbst Autos und meistens auch eigene Fahrer hatten. Dazu gehörten so bekannte Namen wie Familie von Siemens oder Prof. Sauerbruch.
Aus diesen Geschäftsverbindungen entwickelten sich nicht selten Freundschaften, die so weit führen konnten, dass z.B. Prof. Sauerbruch 1935 anordnete, Herrn Kiesewalter sen. nach einem Magendurchbruch zu einer Operation in die Charité zu holen. Der Patient überlebte aber leider nicht. Die Witwe behielt jedoch die Konzession und konnte das Unternehmen weiterführen.
Mit 16 Jahren erhielt Herr Kiesewalter jun. dann den Führerschein, auch für Droschken. Als Sohn eines Droschkenunternehmers und als KFZ-Mechaniker-Lehrling konnte er natürlich fahren.
Trinkgelder, in jungen Jahren insbesondere Schokolade der Marke Faßbender, an die sich viele Anwesende gut erinnern konnten, waren wichtig und nicht zu knapp bemessen. So wurde man auch schon mal zu den Weihnachtsfeiern der Familien (z.B. Familie von Siemens) mit dem „Gesinde“ eingeladen und auch beschenkt.
Bei Kriegsbeginn sollte Heinz Kiesewalter sofort zur Wehrmacht eingezogen werden, durfte vorher aber doch noch seine Lehre abschließen. In Italien kam er dann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Bei seiner Entlassung konnte er nicht in seine damals insgesamt russisch besetzte Heimatstadt Berlin fahren, sondern musste sich notgedrungen zu Verwandten in das derzeit noch amerikanische Thüringen begeben. Dort konnte er sich mit seinen Kenntnissen als Mechaniker nützlich machen. Er fuhr einen „Opel“-LKW mit Holzvergaser, die damals in die alten Autos eingebaut wurden. Viele Anwesende können sich selbst erinnern und tragen eigene Erlebnisse bei. Inzwischen rückten die Russen in Thüringen ein. Der junge „Fuhrunternehmer“ konnte mit der Antriebstechnik imponieren, die ihm dann auch bei dem Verdacht, ein vermeintlicher US-Spion zu sein, wieder sehr zugute kam. Er konnte bei der Verhaftung noch schnell den „Zündfinger“ ausbauen und nach einigen Tagen den Motor durch heimlichen Wiedereinbau zum Laufen bringen, was ihm die prompte Entlassung aus der Haft einbrachte.
In Berlin, wohin er, auf dem Zugdach reisend, wieder zurückgekehrt war, waren inzwischen die Amerikaner. Kiesewalters hatten die Wagen in den Kriegswirren verloren. Die Not in der Stadt war groß, und so baute der findige Mechaniker aus drei „Adlern“ vom Schrottplatz einen funktionierenden „Adler“.
Bei den Amerikanern konnte er als „Taxi“-Fahrer gut verdienen. Diese hatten inzwischen für ihre Angehörigen den als „Taxi-Bal“ bekannten Fahrdienst eingeführt, für den in US-Dollar bezahlt werden musste.
Dann erlebte die Stadt die Blockade und die Wannseer die Luftbrücke auf der Havel, wenn die Wasserflugzeuge ihren Teil zur Versorgung der Stadt beitrugen. Schwanenwerder wurde ein wichtiger Anlandungsplatz für die Hilfslieferungen wie Trockenmilch und getrocknete Kartoffelschnitzel. Auf der Insel war aber auch im Sperrgebiet der sog. amerikanische Generalsclub.
Nach dem Ende der Luftbrücke „normalisierte“ sich das Leben in der Stadt, die inzwischen zu dem geworden ist, was die Zuhörer aus eigenem Erleben kennen.
Die Anwesenden tragen noch eigene Erlebnisse bei, wie z.B. die Schilderung des Lebens in der „Tag- und Nachtkrippe“ in der Alsenstraße 12, in der nicht nur Waisen zu Hause waren, sondern auch Kinder von sog. Gutsituierten. Nach dem Krieg wurde das Gebäude, so erzählt Frau Kiesewalter, auch für die Conradschule als Ausweichquartier genutzt, wo z.B. 1970 Kiesewalters Sohn eingeschult wurde.
Herrn Kiesewalter wird für seine kenntnisreichen und humorvollen Erzählungen mit herzlichem Beifall gedankt.
Ein altes Haus hat Abschied genommen
Im zweiten Teil des Abends liest Frau Bolte die Titelgeschichte des Jahrbuchs 2013 des Zehlendorfer Heimatvereins in dem Frau Barbara Denss, Tochter von Herbert und Thea Jahnel, den letzten Bewohnern des Hauses Alsenstraße 1 sehr lebhaft die Geschichte ihres Elternhauses schildert. Seit Herbst 2012 ist das Haus in seiner ursprünglichen Pracht wieder aufgebaut und wartet nun nur noch auf die Anlage des Gartens, was sicher im kommenden Frühjahr geschehen wird.
Um 1800 wurde das Haus errichtet. Damals wohnten im Dorf Stolpe etwa 140 Menschen und als erster Besitzer ist der Schmied Hildebrand bekannt, von dessen Schmiede Maler Philipp Franck in seinen Erinnerungen und insbesondere vom lodernden Feuer in der offenen Esse berichtete.
Später richtete August Mierke in dem Haus einen Laden ein, in dem er Blumen, Obst und Gemüse verkaufte, die er meistens auf dem großen Grundstück an der Chausseestraße selbst zog.
1932 dann pachtete Herbert Jahnel nach abgeschlossener Lehre zum Einzelhandelskaufmann den kleinen Laden mit der dazugehörigen Wohnung an der Ecke Alsen-/Chausseestraße und führte dort sein Lebensmittelgeschäft. 1935 heiratete er seine Thea, die dann auch Seele des Geschäfts wurde. Sie brachte bis 1938 so ganz nebenbei zwei Kinder „im Laden“ zur Welt. Ihr Geschäft wurde zu einem weithin bekannten Spezialitätengeschäft, das nicht nur von Wannsees Einwohnern, sondern auch von Wassersportlern, Golfspielern und Sommerfrischlern geschätzt wurde. Auch die Prominenz aus Wannsee und Babelsberg, die Größen der UFA und DEFA gehörten zu den Kunden, wie z.B. Jopi Heesters, Heinrich George und Werner Bochmann. Sie ließen sich auch die Ware oft von Herbert entweder mit dem Fahrrad oder, dem Stolz der Firma, einem dreirädrigen Lieferwagen bringen.
1939 änderte sich das Leben und Arbeiten aber auch in dem kleinen Laden. Sammelbüchsen für das „Winterhilfswerk“ standen auf der Theke und Parteigenossen forderten statt eines freundlichen „Guten Tag“ den obligatorischen Führergruß. Lebensmittelmarken mussten auf Zeitungspapier in Reih und Glied aufgeklebt werden. Lebensmittelzuteilungen wurden streng überwacht. Nach und nach wurden nicht nur immer mehr Soldaten an den Fronten vermisst, sondern auch Familien, die mit einem großen „J“ auf den Lebensmittelkarten eingekauft hatten. Bombenangriffe verschonten Wannsee, aber kurz vor Kriegsende wurden viele Häuser durch die vorrückende Rote Armee beschädigt. Der Laden blieb unversehrt, aber die neu angemietete Wohnung im Haus der Bäckerei Meyer wurde zerstört.
1945 lief der Betrieb dann erst wieder langsam an. Mit der Sonderlizenz des russischen Kommandeurs durfte Herbert Jahnel mit seinem Chevy-Laster in Berlin und aus dem Umland Essbares unter oft abenteuerlichen Bedingungen heranschaffen. Auch dieser Laster wurde von einem „Holzvergaser“ angetrieben.
Dann kam die Notzeit der Blockade mit getrockneten Kartoffelschnipseln, harten Mohrrübenwürfeln, „Hämosil“ zur Herstellung von sog. Blutwurst oder Ei- und Vollmilchpulver. Nach 1949 begannen geordnete Zeiten, nachdem der Interzonenverkehr wieder rollte. Es gab dann auch „Wittler“- und „Paech-Brot“, Landschinken und Südfrüchte. Die Auswahl wurde immer größer und so wurde aus dem keinen Laden „Feinkost Jahnel“ mit wachsender Zahl freundlicher Bedienungen und einer moderner Ladeneinrichtung.
Für Fische und Räucherwaren gab es einen Anbau mit gekachelten Wasserbecken, aus denen die frischen Flussfische direkt verkauft wurden. Seefische wurden auf zerkleinertem Stangeneis gekühlt. Es gab aber auch Wild aller Art, das noch „in der Decke“ angeliefert und erst vor Ort zerlegt wurde.
Es wurde immer größter Wert auf individuelle Bedienung gelegt.
1957 wurde das 25-jährige Jubiläum gefeiert. Das Geschäft bestand aber noch weitere 30 Jahre. 1960 wurde dann „ausnahmsweise“ ein überdachter Glasvorbau an der Giebelseite genehmigt, der die vergrößerte Obst- und Gemüseauslage aufnahm.
Die moderne Selbstbedienung hielt, wenn auch zögerlich und vom Ladeninhaber missbilligt, in Teilen Einzug. Erst 1986 willigten Herbert mit 77 und Thea mit 75 ein, das Geschäft zum 1. August 1986 aufzugeben.
Die Wannseer ließen es sich aber nicht nehmen, „ihren Jahnels“ ein großes Abschiedsfest zu organisieren. Eine Dixie-Band spielte im Vorgarten und Herbert und Thea Jahnel tanzten im Kittel zu den Banjo-Klängen. Ein Stück der guten, alten Zeit ging damit zu Ende.
Für Jahre blieb das Haus verlassen, nur hin und wieder gab es schüchterne Versuche, das Geschäftshaus wieder zu beleben. Es verfiel immer mehr, von Jahnels und den Wannseern mit großer Trauer beobachtet. 1993 starben Herbert Jahnel und 2008 seine Thea.
Erst 2008 kaufte eine junge Familie das Grundstück und auch das inzwischen mit einem Notdach aus Plastik gesicherte Haus. Jetzt ist es von Grund auf wieder aufgebaut worden und die letzte Kastanie hält Wache über das neue Landhaus. Der schon von Herbert Jahnel im Garten gepflanzte Walnussbaum wird hoffentlich noch viele Jahre seine Nüsse tragen.
Die interessant geschriebene und mit viel Hingabe vorgelesene Geschichte dieser Wannseer Institution wurde mit viel Beifall bedacht. Jedem sei angeraten, den Originalbericht im Jahrbuch 2013 des Heimatvereins Zehlendorf selbst nachzulesen und die vielen alten Bilder anzuschauen. Das ist ein Genuss!
Ulrich Locherer