Tagesfahrt nach Angermünde, Unteres Odertal und Bad Freienwalde

In diesem Jahr bleiben wir bei unserer Tagesfahrt im Land Brandenburg, steuern hier aber drei verschiedene Punkte an. Schon auf der Bustour erzählt Frau Bolte etwas über die Uckermark, die wegen der hügeligen Landschaft auch als Toskana des Nordens bezeichnet wird. Der Name leitet sich vom Land an dem Fluss Ucker/ Uecker her und findet sich auch in den Uckerseen (Ober- und Unteruckersee) und in der Stadt Ueckermünde. Ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. wurde die Landschaft vom westslawischen Stamm der Ukranen besiedelt, die hier Ackerbau, Viehhaltung und Bienenzucht betrieben. Heute sind in der Wirtschaft Erdölverarbeitung, Papierherstellung, Tourismus, Landwirtschaft, Windkraft, Herstellung von Solaranlagen und Nahrungsmittelindustrie zu nennen. Sehenswerte Großschutzgebiete fördern in wachsendem Maße den Tourismus in der Region. In der Uckermark befindet sich im Osten der Nationalpark Unteres Odertal, im Süden das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und im Westen der Naturpark Uckermärkische Seen mit einer Fläche von 897 km² und über 220 Seen. Beim Bundeswettbewerb für Nachhaltige Tourismusregionen 2012/2013 hat die Uckermark am 13. Mai 2013 den ersten Preis bekommen.

Zunächst besuchen wir die 80 nordöstlich von Berlin liegende Stadt Angermünde. Zwischen 1210 und 1230 entstand an einer Kreuzung von Handelsstraßen eine Burg, die den neuen deutschen Siedlern Schutz bot. Die historische Altstadt ist glücklicherweise erhalten geblieben, denn anders als bei uns in Wannsee, wo in letzter Minute des 2. Weltkriegs unser Ort noch zur Festung erklärt wurde und so viele Menschen ihr Leben lassen mussten (s. Kriegsgräber auf beiden Wannseer Friedhöfen), geschah Folgendes: Am 27. April 1945 liefen der Bäckermeister Miers und der Juwelier Nölte auf der Straße nach Schwedt den anrückenden sowjetischen Truppen entgegen und übergaben nach kurzen Verhandlungen kampflos die Stadt. Angermünde blieb dadurch von Kriegszerstörungen verschont, so dass das Erscheinungsbild der Altstadt weitgehend erhalten ist. Die Stadt Angermünde ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“ im Land Brandenburg. Das 1990 ins Leben gerufene Sanierungsprogramm ist 2007 ausgelaufen, und bis auf wenige Ausnahmen sind alle Gebäude in der Innenstadt saniert. So freuen wir uns auf die angemeldete Führung in dieser Stadt.

Unsere große Gruppe wird geteilt, und zwei Damen des Tourismusvereins Angermünde führen uns in einer Stunde zu einigen Sehenswürdigkeiten. Zu Beginn werden uns die ehemaligen Läden der erwähnten mutigen Bürger Miers und Nölte gezeigt.
Ein sehr schön restauriertes Fachwerkgebäude, das ehemalige Gasthaus „Zum Lamm“, können wir bewundern. Schon auf den ersten Metern in dieser alten Ackerbürgerstadt sind wir begeistert von der Atmosphäre, von den gepflegten Häusern und Gässchen. Auf den vielen roten Emaille-Schilder in der Stadt kann man sich über die Geschichte und Bedeutung der jeweiligen Gebäude informieren. Von der einst 2,7 km langen und 4 m hohen Stadtmauer finden sich noch ein kleiner Abschnitt mit Backsteinen auf einer Feldsteinmauer sowie ein Pulverturm, auf dem spätestens seit 1850 regelmäßig Störche nisten. Hier wurden in einem 6 m tiefen Verließ Übeltäter im wahrsten Sinne des Wortes „eingelocht“ Dann betreten wir die Heilig-Geist-Kapelle, die zu dem 1336 gegründeten Hospital gehörte, das im 30jährigen Krieg zerstört wurde. Der Krieg wütete hier grausam: In Angermünde wurden 80% der Häuser zerstört, 1637 lebten noch 40 Bürger von 1700. Das erklärt auch, warum der Große Kurfürst 1671 mit dem „Edikt von Potsdam“ hugenottische Familien in Brandenburg aufgenommen hat, die ihre Heimat verlassen mussten. Sie brachten viele Gewerke mit wirtschaftlichem Erfolg nach Brandenburg und so auch nach Angermünde. Tabak wurde kultiviert, und viele in unseren Breiten bis dahin unbekannte Gemüsesorten sind von den Hugenotten angepflanzt worden, die zunächst spöttisch als „Bohnenfresser“ bezeichnet wurden. 1698 wurde dann die Kapelle von Kurfürst Friedrich III. den 270 Hugenotten geschenkt, die hier als Calvinisten strengere Regeln als die Lutheraner pflegen konnten – ganz am Wort, nicht an Bildern orientiert. Noch heute wird die Kapelle zum Gottesdienst von der Französisch-Reformierten Kirchgemeinde Groß Ziethen/ Schwedt (Oder) genutzt, die zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz gehört. In diesem Zusammenhang hören wir, dass der Große Kurfürst auch jüdische Familien angesiedelt hat, die sogenannten „Schutzjuden“. So gab es eine Synagoge und eine jüdische Schule in der Stadt, bis die Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938 die Synagoge niederbrannten und den jüdischen Friedhof zerstörten. Von dem ehemaligen Kloster der Franziskaner steht noch die Kirche, dank der Bemühungen der Denkmalpfleger. Wir spüren in der hohen Backsteinhalle deutlich einen Zusammenhang mit dem Kloster Chorin.

Heute finden hier regelmäßig Konzerte und andere Veranstaltungen statt; auch eine Dauerausstellung des Heimatvereins wird gezeigt. Vor dem schönen Rathaus erfreut uns ein Marktbrunnen des uckermärkischen Künstlers Christian Uhlig, der mit liebevollen Anspielungen auf das Leben in einer Kleinstadt hinweist. Beeindruckt von dem Charme dieser einstigen Ackerbürger- und Handwerkerstadt, die von Abriss und Plattenneubauten weitgehend verschont geblieben ist, streben wir dem Abschluss unseres Kurzbesuches zu. Wir begeben uns in die Stadtkirche St. Marien, die ihre Substanz aus der Gründungszeit des 13. Jahrhunderts fast vollständig erhalten hat. Gewaltig ist der 57 m hohe Turm; er soll der größte Feldsteinturm in Brandenburg sein. Hier können wir einem kleinen Konzert an der 1744 von Joachim Wagner erbauten Orgel lauschen. Durch Herrn Andreas Kitschkes Vortrag in unserem Verein über den großartigen barocken Orgelbaumeister vorbereitet, erleben wir eine der wertvollsten Orgeln Deutschlands, die über fast 2000 Pfeifen verfügt. Der Organist spielt u. a. Stücke von Buxtehude und Bach, und wir können nicht nur die Zimbelsterne hören, sondern sich auch drehen sehen. Beschwingt verlassen wir die Kirche und die Stadt. Trotz unseres kurzen Besuches haben wir einen sehr positiven Eindruck von diesem Ort gewonnen, so dass sich vielleicht der eine oder der andere mal zu einem längeren Aufenthalt mit dem Regionalzug aufmachen möchte, der von Wannsee aus in knapp anderthalb Stunden Angermünde erreicht.

Als nächstes führt uns unser Bus nach Criewen, wo wir im Gasthaus „Linde“ zu Mittag essen. Unser 2. Vorsitzender, Herr Werner Siepmann, war so freundlich, nach einer privaten Radtour mit seiner Frau durch das Untere Odertal, Kontakt mit einem Ranger aufzunehmen, der unserer Gruppe diese ganz besondere Flussauenlandschaft vorstellt. Herr Dreier erwartet uns am Nationalparkhaus und erläutert zunächst an einer großen Karte den Flussverlauf der Oder, wo ja bereits unter Friedrich Wilhelm I., aber vor allem durch seinen Sohn Friedrich II. Land gewonnen wurde. Später nach 1900 wurde das Flussbett begradigt. Nach holländischem Vorbild wurde das Flussgebiet eingedeicht. Am Kanal, der Hohensaaten- Friedrichsthaler Wasserstraße, sind hohe Winterdeiche und an der Oder die niedrigeren Sommerdeiche. Letztere werden jedes Jahr im November geöffnet und mit 130 Mio Kubikmetern in einer Länge von 20 km überflutet. Die Polder sind ein Eldorado für zahlreiche Wasservögel: für Saatgänse, Singschwalben, Kraniche u.a. Im April wird dann das Wasser abgepumpt. So ist hier das Gebiet für Tiere und Pflanzen geschützt geblieben.

Inzwischen gibt es auch acht Storchenhorste, so dass Criewen Storchendorf wird; wir sehen etwas von den Feierlichkeiten des. Storchenfestes am 14.6. Im Nationalparkhaus wird zunächst ein Film über diese Auenlandschaft gezeigt, und an einigen Exponaten erklärt Herr Dreier weitere Besonderheiten. Besonders eindrucksvoll ist aber für uns der Gang in Richtung Oder, wo wir weit und breit nur diese Auen sehen. In einer Richtung aber können wir fast am Horizont eine Kirche entdecken, die sich offensichtlich in einem kleinen Ort jenseits der Oder in Polen befindet. Von Anfang an ist dieser 1995 gegründete, zwölfte Nationalpark Deutschlands als Bestandteil eines deutsch-polnischen Naturschutzprojektes- von Hohensaaten bis vor die Tore von Stettin (Szczecin) – angelegt worden. Dieses Naturschutzgebiet ist wirklich wunderschön, vor allem auch, weil wir es ohne Regen genießen können. Immer, wenn wir im Bus oder im Gasthaus sitzen, gießt es, aber wenn wir aussteigen, zeigt sich die Gegend von ihrer besten Seite. Auch hier – denke ich – kann der Besuch in Criewen Anregung sein, mal länger zu verweilen, eine Wanderung oder Radtour auf den Deichen zu unternehmen, um diese endlose Weite noch viel intensiver in sich aufnehmen zu können.
Zu guter Letzt streben wir auf unserer Fahrt noch einem besonderen Kleinod in der Uckermark zu, dem Schloss Freienwalde. Zunächst berichtet Frau Bolte im Bus darüber, dass bereits der Große Kurfürst wegen der heilkräftigen Quellen den Gesundbrunnen gründete und Friedrich Wilhelm II. den Ausbau des Bades förderte. Seine Frau Friederike Luise von Hessen-Darmstadt machte den Ort zu ihrem ständigen Sommeraufenthalt, was einen Aufschwung für F. bedeutete. Doch erst nach dem Tod ihres Mannes (1797) konnte sie sich ab Frühjahr 1798 ein Sommerschloss von David Gilly bauen lassen, der auch zwischen 1796 und 1803 das Schloss Paretz mit dem ganzen Dorfensemble errichtete.
Es begann die Zeit des preußischen Frühklassizismus (einfache Bauformen und individuelle Innengestaltungen). In der Architektur Preußens steht Schloss F. am Beginn der Entwicklung vom Schloss bzw. Herrenhaus zur von Bürgertum und Könighaus gleichermaßen bevorzugten Villa (s. Schinkelpavillon in Charlottenburg und Schinkels Charlottenhof in Potsdam!) Die Baukosten beliefen sich auf etwa 20 500 Reichstaler und überstiegen die veranschlagte Summe nur um 10 Taler, 19 Groschen und 11 Pfennige!Zur Zeit gibt es im Erdgeschoss keine Ausstellung zu Friederike Luise, sondern im Rahmen des Kulturland-Brandenburg-Themenjahres 2014 die Ausstellung: „Grenzgänge – Brandenburgs Grenzen in Geschichte und Gegenwart“.

Wir werden uns daher beim Besuch des Schlosses auf die Räume im 1. Stock konzentrieren, die an Dr. Walther Rathenau erinnern, der 1909 dieses Schloss für 262 500 Mark erwarb.
Herr Werner Siepmann hat sich dankenswerterweise auch auf dieses Thema eingehend vorbereitet und gibt bereits im Bus einen ersten Einblick in die Lebensgeschichte dieses beeindruckenden Mannes und lässt Bilder seiner Familie durch die Reihen gehen. Als Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau 1867 in Berlin geboren, studiert er Physik, Philosophie und Chemie bis zur Promotion -22-jährig bei Prof. Helmholtz- und übernimmt später den Aufsichtsratsvorsitz der AEG. Als Wirtschaftssachverständiger und Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) beginnt er mit seiner politischen Arbeit, wirkt von Mai bis Oktober 1921 als Wiederaufbauminister und ab 1.2.1922 als Reichsaußenminister. So erfolgreich wie er in der Wirtschaft und Politik auch war, der Aufstieg zum Reserveleutnant wurde ihm, dem Juden, verwehrt; diese Diskriminierung als Bürger zweiter Klasse hat ihn zeitlebens geschmerzt. Nach nur fünf Monaten Amtszeit als deutscher Außenminister wurde er am 24. Juni 1922 durch rechtsradikale Attentäter ermordet.
Nach der Ankunft in Freienwalde zeigt uns Herr Siepmann im Obergeschoss viele interessante Details und die wunderschönen, von Walther Rathenau gemalten Aquarelle von diesem Schloss und Park, aber auch Max Liebermanns Kreidezeichnung seines Neffen Walther Rathenau. Nach dem fast 100jährigen Leerstand des Schlosses hat Rathenau das Haus sanieren und teilweise modernisieren, zwei moderne Appartements einrichten und einen halbrunden Altan auf der Stadtseite anbauen lassen.
Nach seiner Ermordung schenkten die Erben Walther Rathenaus Schloss und Park 1926 dem damaligen Kreis Oberbarnim mit der Auflage, es der Bevölkerung zugänglich zu machen.
Die kunstgeschichtlich sehr wertvolle Innenausstattung ging 1945 durch Plünderung verloren. Nach der Wende wurde das Schloss umfangreich saniert und ist nun wieder für Besucher geöffnet.

Wir bedauern, dass die Zeit zu knapp ist, um sich näher hier an Ort und Stelle mit dieser beeindruckenden Persönlichkeit zu befassen, hoffen aber, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal dieses Thema im Verein
aufgreifen und von Herr Siepmann mehr von seinen intensiven Recherchen zu Walther Rathenau hören werden.
Zum Abschluss schreiten wir noch ein wenig durch den Park, hängen unseren Gedanken nach und machen uns dann auf unsere Rückfahrt nach einem inhaltlich sehr vielseitigen Programm, das wir aber ohne jede zeitliche Eile absolvieren konnten.

Hannelore Bolte

(Fotos: Werner Siepmann)

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