Spaziergang durch die Villenkolonie Wannsee

Die Villenkolonie Wannsee bestand eigentlich nur aus der Friedrich-Karl-Straße, heute Am Sandwerder. Geht man diese Straße vom Bahnhof Wannsee kommend entlang, dann befinden sich auf der linken Straßenseite, der Wasserseite, die ungeraden Hausnummern, gegenüber die geraden. Wir begannen unseren Spaziergang Am Sandwerder.

Nr. 1 (Villa Wild) Hier wurden wir herzlich vom Ehepaar Hundertmark begrüßt, das die Villa 1975 vor dem Abriss bewahrt hatte. Diese ließ sich der Lampenfabrikant Emil Wild 1874 vom Baumeister Ernst Petzholtz im spätklassizistischen Stil errichten. Herr Dr. Hundertmark berichtete ausführlich über die Instandsetzungsmaßnahmen und ließ uns anschließend sogar durch seine Privaträume schreiten. Von seiner Terrasse aus hatten wir dann einen wunderbaren Blick über den Wannsee.

Nr. 3 (Villa Wessel) Ebenfalls 1874 ließ der Partner von Emil Wild, Friedrich Wilhelm Wessel, von Ernst Petzholtz diese Villa erbauen. Nach 1945 baute das DRK die 17-Zimmer-Villa in ein Erholungsheim für MS-Kranke um. Später waren hier auch der Suchdienst des DRK und die Wasser-Rettungs-Wacht untergebracht. In einem Seitengebäude befand sich ein Friseursalon, an den sich einige Wannseer noch erinnern konnten. Friedrich Wilhelm Wessel erwarb auch die Insel Sandwerder, heute Schwanenwerder, und gründete dort eine neue Villenkolonie.

Nr. 5 (Villa Guthmann) Robert Guthmann, der Gründer der Rüdersdorfer Zementwer-ke, gilt zusammen mit Emil Wild und Friedrich Wilhelm Wessel als Gründer der Vil-lenkolonie Wannsee. In seiner Villa schrieb 1925 Carl Zuckmayer als Gast des Ban-kiers Goldschmidt sein Erfolgsstück „Der fröhliche Weinberg“. 1938 hatte die NS – Marine hier ein Forschungslabor eingerichtet. Nach 1945 war es Hotel der amerika-nischen Streitkräfte. 1960 kaufte das Land Berlin das Anwesen. Seitdem beherbergt es das Literarische Colloquium Berlin. Hier tagte die von Walter Höllerer gegründete Gruppe 47, zu der u.a. Günter Grass, Peter Weiß und viele andere gehörten.

Nr. 7 (Villa Gutschow) Diese ebenfalls von Ernst Petzholtz gebaute Villa ist von der Straße durch den hohen Baumbewuchs kaum einzusehen. Sie wurde in der Folge-zeit auch mehrfach umgebaut. Das Grundstück gegenüber (Am Sandwerder/ Kron-prinzessinnenweg) war früher Reichsbahn-Gärtnerei.

Nr. 9 (Villa Otzen) Johannes Otzen, der wohl bedeutendste Kirchenbaumeister des ausgehenden 19. Jahrhunderts, entwarf diese Villa für sich selbst in der für ihn typi-schen Backsteingotik. Auch sie ist von der Straße kaum zu sehen.

Nr. 11 – 15 (Villa Richter) Die beiden Villen auf diesen Grundstücken wurden für den Bankier Adolph Schwabacher und den Arzt Max Reichenheim errichtet. Später ging die Villa Schwabacher in den Besitz des Bankiers Richter über, der in der NS-Zeit vielen Juden zur Emigration verholfen hat. Heute wird das Gebäude als Schullandheim von Schöneberg/Tempelhof genutzt. Das Gästehaus „Blumenfisch am Großen Wannsee“, wo auch Menschen mit Behinderung arbeiten, steht für Seminare und Feiern zur Verfügung. Das Mobiliar wurde in der Holzabteilung der VIA Werkstätten, einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen, gefertigt. Bei unserer zweiten Begehung konnten wir Einblick nehmen in die großartig restaurierten Säle mit dem faszinierenden Ausblick auf den Wannsee und erfuhren, dass wir uns hier auch einmal zum Kaffee-Trinken anmelden könnten.

Nr. 8 Auf diesem Gelände stand einst die erste Post von Wannsee. Das Gebäude wurde ca. 1975 abgerissen.

Villa Ebeling

Nr. 12 (Villa Ebeling) Das Hauptgebäude dieses Ensembles befindet sich am Kronprinzessinnenweg. Am Sandwerder stehen nur ein Turm mit Rüstkammer sowie ein Pförtnerhaus und Stallgebäude. Die Idee dieser Anlage war ein mittelalterlicher Edelhof. Bekannt wurde das Gebäude überregional durch die Filmgesellschaft Phönix, die hier die Serie „Unser Charlie“ drehte.

Nr. 17 – 19 (Villa Oppenheim) Der maßgebliche Gründer der IG Farben, Franz Oppenheim, ließ sich hier von Johannes Otzen eine Villa errichten, die mehrfach umgebaut wurde. 1907 verkaufte er sie an den Bankier Hans Arnhold und ließ sich in der Villenkolonie Alsen von Alfred Messel eine neue Villa errichten. Nach der Emigration von Hans Arnhold im Jahre 1936 in die USA wurde sie vom Reichswirtschaftsminister Walther Funk als „Dienstwohngebäude“ genutzt und erneut umgebaut, diesmal sogar mit „Führerbunker“. Nach dem Krieg diente sie den Amerikanern als US Recreation Center. Seit 1998 ist das Gebäude Sitz der American Academy (Hans-Arnhold-Center).

Nr. 21 – 23 (Villa Schwabacher) Diese Villa ließ sich Adolph Schwabacher erbauen, als er Rentier war. Heute prangt davor auf einer lasierten Granitwand „Palais Parkschloss“. Der Hotelbau, der errichtet wurde, war nie in Betrieb, da sich die Anwohner wegen der Lärmbelästigung erfolgreich dagegen gewehrt haben. Trotzdem wohnten während Filmaufnahmen hier die Hollywood Stars Tom Cruise, Brad Pitt und Angelina Jolie.

Nr. 25 In der von der Straße nicht einsehbaren Villa wohnte bis zu seinem Tode der Filmproduzent Wendland

Nr. 27 Diese Villa mit Nebengebäuden wurde erst 1934/35 für den Generaldirektor Karl H. Bauer errichtet. Nach dem Krieg diente sie als amerikanisches Gästehaus.

Nr. 29 – 31 Dieses Gelände bestand ursprünglich aus zwei Grundstücken. Auf dem südlichen stand die Villa des Fabrikbesitzers Ferdinand Reichenheim, in der der Vater der Weimarer Verfassung, Hugo Preuss, auch zeitweise wohnte. Nach mehreren Umbauten wurde sie 1945 von den Nationalsozialisten gesprengt und abgetragen. Die Villa auf dem nördlichen Teil gehörte dem Baumeister R. Schreiber. Nach 1945 wurden beide Grundstücke zusammengelegt. In der Villa Schreiber befindet sich heute ein Gästehaus der deutschen Bundesbank. Wir hatten hier die Gelegenheit, den weitläufigen Garten zu besichtigen.

Nr. 33 – 35 (Villa Huldschinsky) Diese wohl prächtigste Villa der Kolonie Wannsee wurde für den bedeutendsten Repräsentanten der schlesischen Schwerindustrie, Oscar Huldschinsky, errichtet. Nebenan ließ er für seine Kinder eine zweite Villa errichten. Nach 1944 war hier die italienische Botschaft untergebracht. 1948 wurde in dieser Villa die Freie Universität aus der Taufe gehoben. Heute residiert in ihr der Botschafter des Königreichs Saudi-Arabien.

Nr. 36 In diesem der Villa Huldschinsky gegenüberliegendem Haus wohnte in den 70er bis 90er Jahren Dr. Anneliese Groscurth, Witwe von Dr. Georg Groscurth.

Dr. Georg Croscurth war Oberarzt am Krankenhaus Moabit und Dozent an der Humboldt-Universität.
Er war führendes Mitglied einer Widerstandsgruppe gegen Hitler, die sich Europäische Union nannte und die u.a. Kontakte zu illegalen Organisationen sogenannter Fremdarbeiter knüpfte und auch Juden versteckte. Als diese Gruppe 1943 aufflog, wurde er zusammen mit drei Gefährten (darunter der Chemiker und Kommunist Robert Havemann) zum Tode verurteilt und am 8.5 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.

Die führenden Mitglieder der Widerstandsgruppe wurden vor einigen Jahren vom Staat Israel als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Eine Gedenktafel am Krankenhaus Moabit erinnert an Dr. G.Croscurth, in Berlin-Westend gibt es den Anneliese-und Georg-Croscurth-Platz.

Bootshaus am Sandwerder

Da an den Wochenenden in der American Academy niemand für eine Führung zur Verfügung steht, wurde uns als Ersatz dafür erlaubt, im Garten unten am Wasser zu picknicken. Bei herrlichstem Sommerwetter beschlossen wir unseren Spaziergang durch die Villenkolonie Wannsee mit Kaffee, Tee und reichlich Gebäck.

Für die Mitglieder, die an der Führung nicht teilnehmen konnten, wurde sie am Montag, dem 20. September 2010, wiederholt. An diesem Tag wurden auch die Fotos gemacht; leider schien diesmal nicht die Sonne.

Rolf Hin

(Fotos: Werner Siepmann)

siehe auch: Vortrag zur Villenkolonie Wannsee

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