Rundgang durch Klein-Glienicke

Mit Bedacht wurde das Datum für diese Veranstaltung gewählt, denn am 13. August 1961 änderte sich das Leben für die Bewohner dieser kleinen „Potsdamer Halbinsel“ auf der Berliner Seite des Teltowkanals. Aber nun schön der Reihe nach!
Frau Bolte kann am Freitagnachmittag eine außergewöhnlich große Gruppe begrüßen, die sich gegenüber dem Schloss Glienicke an der Königstraße eingefunden hat, um von Frau Manuela Arndt durch Klein-Glienicke geführt zu werden. Ihr Ehemann, Jens Arndt, Autor des 2009 im Nicolai Verlag erschienenen Buches „Glienicke – Vom Schweizerdorf zum Sperrgebiet „, hat uns sein Werk am 14. Januar 2010 im Verein vorgestellt. Frau Arndt hat an diesem Buch mitgearbeitet und verweist immer wieder darauf. Schon am Tag der Präsentation haben viele das Buch erworben und können nun an Ort und Stelle einzelnen Geschichten nachspüren.

Infotafel zum Bötcherberg und der Loggia Alexandra

Im Jahre 1375 wird unter Kaiser Karl IV. eine „kleine Lehmkuhle“ am Wasserlauf der Bäke erwähnt, in der ein paar „Büdner“ leben und das bald „wüst“ fällt. Erst mit dem Großen Kurfürsten wird es wieder erwähnenswert. Er entdeckt die Gegend für die Jagd, lässt von 1682 – 1693 ein kleines Jagdschlösschen bauen, einen Weinberg am heutigen Böttcherberg und eine Lindenallee anlegen. Seine Nachfolger verlieren das Interesse an dem Schloss, es wird Lazarett, später Wachstuchfabrik. 1832 wird es Waisenhaus, das der Potsdamer Schulrat und Pädagoge Wilhelm von Türck, der „preußische Pestalozzi“, einrichten lässt und durch Seidenraupenzucht den Haushalt des Waisenhauses deckt. Prinz Carl kauft 1824 das Gut Glienicke vom Fürsten Hardenberg und verändert in der Folgezeit Schloss und Dorf mit Hilfe der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné und Hermann Fürst von Pückler-Muskau und des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel grundlegend.

Es wird ein Landschaftsgarten angelegt, der an eine Schweizer Landschaft erinnern und mit zehn „Schweizerhäusern“ und künstlichen Felsen für eine entsprechende Kulisse sorgen soll. Erst mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 sollte dieses „kleine Paradies“ verloren gehen. Nach dieser kurzen Einführung in die Geschichte gehen wir in den Park des sich im Wiederaufbau befindlichen Jagdschlosses Glienicke, hören von dem Brand im Jahre 2003 und davon, dass der kleine Schwelbrand wegen territorialer Querelen nicht durch die kleine örtliche Glienicker Feuerwehr gelöscht werden durfte. Man musste auf das Eintreffen der zuständigen Berliner Berufsfeuerwehr warten, was das Schicksal des Schlosses besiegelte. Noch wird es restauriert. Es bleibt zu hoffen, dass der Anbau aus den 60er Jahren verschwindet und das Schloss in seiner äußeren Gestalt wieder als Barockschloss erstrahlen wird. Am Hauptportal des Schlosses hören wir dann die Geschichte eines Fluchttunnels, der von Hausbewohnern an der Mauer unter dem Bäkekanal hindurch gegraben wurde und der 12 Menschen die Flucht in den Park des Jagdschlosses ermöglichte. Hier wurde die Absurdität des Mauerverlaufs ganz besonders deutlich, der sich sklavisch an die Vorgaben der Grenzen des Gutes und Dorfes Glienicke gehalten hatte. Wir gehen über den Kanal zu einem der drei – von ursprünglich zehn – noch erhaltenen Schweizerhäusern. Obwohl der Architekt nie in der Schweiz gewesen war, hat er nach den Anweisungen des Prinzen Carl Häuser gebaut, die einige Stilelemente der Alpen und natürlich solche der Hohenzollern wie z.B. das Akanthuszeichen von Schinkel aufweisen.

Der weitere Weg durch den Wald führt uns an der ehemaligen Mauergrenze entlang, von der nichts mehr zu sehen ist. Wir hören von der Flucht aus dem Schweizerhaus am Grenzzaun, nach der das Haus sofort abgerissen wurde und der darin wohnenden ahnungslosen Familie Peschmann nur eine Stunde blieb, um einen Teil ihrer Habe zu retten. Wir gehen „schnaufend“ den Böttcherberg hoch, der ab 1830 von Lenné in einen Landschaftspark verwandelt wurde, mit Eichen und Buchen bepflanzt, einer „Schlucht“, künstlichen Felsen und Findlingen geschmückt und endlich 1870 mit der „Loggia Alexandra“ gekrönt wurde. Wir besuchen dann den alten Friedhof, hören von Begräbnisstätten prominenter Bürger und der bewegenden Totenfeier am Stacheldraht, die am 8. September 1962 hier stattfand und von Pfarrer Strauß so gestaltet wurde, dass in West-Berlin wohnende Enkelinnen auf der anderen Seite der Grenze teilhaben konnten. Wir gehen vorbei an der alten Schule, die noch auf einen Restaurator wartet, am liebevoll hergerichteten ehemaligen Pfarrhaus, dem alten Waisenhaus von Herrn Türck, das als „Feierabendhaus“ die Wende erlebte, von interessierten Bürgern restauriert wurde und nun 12 Eigentums- wohnungen beherbergt. Im alten Obstgarten stehen wieder Maulbeerbäume, die aus dem letzten überlebenden Baum gezogen wurden.

Wir kommen schließlich zur Kapelle, die 1881 als Winterkirche von Persius erbaut wurde. Erzählt wird von einer spektakulären Flucht zweier Dachdecker im Jahr 1971, die dann zur endgültigen Schließung der Kapelle und zu ihrem Verfall führte. Nachdem sie wieder liebevoll hergerichtet wurde, ist sie heute eine beliebte Kirche für Trauungen, Taufen und Orgelkonzerte. Mit einem gemütlichen Beisammensein im „Bürgershof“ endet der Rundgang, der zu anderer Zeit fortgesetzt werden soll, um den „oberen“ Teil von Klein-Glienicke kennen zu lernen.

Ulrich Locherer

(Fotos: Werner Siepmann)

siehe auch: Glienicke – Vom Schweizerdorf zum Sperrgebiet

Nach oben scrollen