Einladung
Anfang März werden wieder Stolpersteine in Wannsee verlegt, und zwar für
Amalie und Paul Lindemann sowie für Erna Neumann, geb. Lindemann in der Hohenzollernstraße 24, für Gertrud Meyer geb. Liebermann in der Straße zum Löwen 19 und für Eva Meyer in der Ulricistraße 32.
Dann werden insgesamt 19 Steine an ehemalige jüdische Nachbarn erinnern, die von hier aus deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet wurden.
Ein weiterer Stolperstein ist dem hingerichteten Widerstandskämpfer Adolf Reichwein in der Hohenzollernstr. 21 gewidmet.
Wir wollen der getöteten Menschen in einer Veranstaltung in der Galerie „Mutter Fourage“, Chausseestraße 15 a in 14109 Berlin-Wannsee gedenken, und zwar am Sonntag, dem 15. März 2009, um 11.30 Uhr.
Es laden ein:
Wolfgang Immenhausen („Galerie Mutter Fourage“) und Hannelore Bolte (1. Vorsitzende des „Vereins für Kultur und Geschichte in Wannsee e.V.“)
Vortrag
Dieser Einladung sind viele Wannseer gefolgt und haben damit dokumentiert, dass Sie auch an diesem Kapitel unserer Geschichte interessiert sind. Zum zweiten Mal führten wir hier in Wannsee aus Anlass der Verlegung von Stolpersteinen eine Gedenkveranstaltung durch. Wir wollten an die im nationalsozialistischen Deutschland verfolgten und ermordeten Menschen, an die ehemaligen Nachbarn, erinnern.
Das Hauptanliegen des Künstlers Gunter Demnig ist, dass den Menschen, die ins KZ deportiert wurden, wo sie nur noch eine Nummer waren, die am Unterarm eintätowiert war, nun ihr Name zurückgegeben wird: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist!“ Es wurde ein noch zu verlegender Stein, 10x10x10cm, gezeigt, auf dem in Handarbeit in die Messingplatte der Name, das Geburts- und Sterbedatum sowie der Ort der Vernichtung eingraviert werden. Oft konnte man außer diesen eingemeißelten Daten nichts weiter über den einzelnen Menschen in Erfahrung bringen. Umso dankbarer sind wir, wenigstens über einige der ermordeten Menschen mehr zu wissen.
Wie war es dazu gekommen? Ich hatte die Adresse der Nichte Jacques Brocks in Erfahrung bringen können und schrieb ihr einen Brief. Ein paar Tage später rief mich der Sohn, Herr Nils Nagel, an und berichtete, dass seine Mutter im vergangenen Jahr verstorben sei, er aber einen Nachsendungsantrag gestellt hatte. So ist er in den Besitz dieses Briefes gekommen. Nun gingen Telefonate und E-Mails hin und her, und wir freuten uns sehr, dass er und sein jüngerer Bruder mit ihren Familien sowie zwei schwedische Verwandte nach Berlin gekommen sind und Herr Nils Nagel dann in der Kirche am Stölpchensee eine beeindruckende Rede hielt zum Gedenken an diesen Großonkel und viele andere Opfer dieser Familie. Die Angehörigen haben keine Kosten und Mühen gescheut, an der Gedenkfeier teilzunehmen.
Die andere Suche gestaltete sich schwieriger. Mein 1. Brief nach Amerika an die Tochter Else Bergers, Alice Bergel, kam nach zwei Monaten an mich zurück, mit dem Vermerk, dass die Person im Januar 1998 verstorben sei. Inzwischen hatten wir im Internet über Else Bergers Tochter den Enkel gefunden. Else Berger, 1884 geboren, lebte seit 1913 mit ihrem Mann und zwei Töchtern am Stölpchenweg 7. Mit dem 71. Alterstransport wurde sie am 4. November 1942 nach Theresienstadt deportiert. Beiden Töchtern, Alice und Edith, gelang es gerade noch rechtzeitig, Deutschland zu verlassen. Die Mutter sollte mitkommen, wollte aber ihre alte, kranke Mutter Selma Solon, die auch in diesem Haus wohnte, nicht im Stich lassen. Und nachdem die Mutter gestorben war, scheiterten alle Versuche, Else Berger noch zu retten. In einem Interview für die von Steven Spielberg finanzierte „Shoah Foudation“ wird deutlich, wie Alice Bergel geb. Berger, 83 jährig im Jahre 1997 bis an ihr Lebensende erschüttert war, dass ihr die Rettung der Mutter nicht gelungen ist und dass sie wenigstens hoffte, dass ihre geliebte Mutter im KZ Theresienstadt, wohin sie zunächst deportiert wurde, gestorben sei. Aus den überarbeiteten Gedenkbüchern, im Jahre 2006 vom Bundesarchiv Koblenz herausgegeben, haben wir aber erfahren müssen, dass Else Berger doch noch nach Auschwitz gebracht und dort am 23.1.1943 ermordet worden ist. Diese Informationen habe ich dem Enkel Peter Bergel in die USA geschickt, auch noch mit der Kopie eines Bildes vom Stölpchensee aus dem schönen Wannsee-Buch von Wolfgang Immenhausen. Peter Bergel konnte nicht selbst anreisen, schickte aber – dankbar für unsere Initiative – ein Grußwort zu unserer Gedenkfeier, das ich damals auch vorgelesen habe.
Diese Feier im September 2007 in der Stölpchensee-Kirche hatte zur Folge, dass ein jüdischer Gast zunächst das Geld für zwei Steine in der Wernerstraße 10 für Rosalie und Mechel Beiser und nun in diesem Frühjahr noch einmal für einen Stein in der Ulricistraße 32 für Eva Meyer zur Verfügung stellte. Das Motiv für diese großzügigen Spenden sei Dankbarkeit dafür, dass sein Vater rechtzeitig, bereits im April 1933, Deutschland verlassen habe und dass hier nun auf diese Weise der Holocaust-Opfer gedacht werden kann. Von unserer Aktion hatte auch ein Mann aus der Hohenzollernstraße gehört, der drei Steine zum Gedenken an die Mutter und Großeltern eines Freundes, für Amalie und Paul Lindemann und ihre Tochter Erna Neumann geborene Lindemann, finanziert hat, die jetzt verlegt worden sind. Hier hat sich ein ähnliches Drama abgespielt wie am Stölpchensee. Friedrich Neumann war bereits außer Landes und wollte seine Frau Erna und seinen 1922 geborenen Sohn Peter ebenfalls aus Deutschland herausholen. Aber Erna wollte ihre alten Eltern nicht im Stich lassen. Fast in letzter Minute konnte dann 1939 der 17 jährige Peter Neumann über Holland nach London gelangen. Nach Kriegsaubruch wurde der Vater auf die Insel White verbracht und der Sohn nach Australien. 1949 kam nunmehr Peter Newman nach England zurück und 1961 nach Berlin. Eigentlich wollte er nur für fünf Jahre nach Deutschland kommen, blieb dann aber doch bis zu seinem Tode 2004 in dem Haus seiner Großeltern.
Im Anschluss daran berichtete Herr Immenhausen über die Nichte Max Liebermanns, Gertrud Meyer, und ihre drei Kinder, die aus der Straße zum Löwen 19 deportiert und ermordet wurden. Für diese vier Menschen hat die „Liebermann-Gesellschaft“ die Stolpersteine finanziert. So erinnern seit März 2009 nach den anfänglichen zwei vor anderthalb Jahren nun bereits 19 Steine an jüdische Holocaust-Opfer aus Wannsee. In der Feierstunde wurde auch des ermordeten Widerstandskämpfers Adolf Reichwein gedacht, über den seine Tochter Sabine Reichwein eine sehr beeindruckende Rede hielt. Von der Organisation „Mittelhof“ wurde an seinem letzten Wohnort in der Hohenzollernstraße 21 ein Stolperstein verlegt.Nach Ende der Veranstaltung haben wir exemplarisch einen Gedenkort aufgesucht, die Hohenzollernstraße, wo sich die ersten zwei Stolpersteine für das Ehepaar Hahn und die jetzt verlegten für die Familie Lindemann/Neumann sowie der für Adolf Reichwein befinden.
Dankbar bin ich dafür, dass sich nun auch bei uns auf der Insel diese Form der Erinnerungskultur entwickelt hat!
Hannelore Bolte