Führung durch Lichterfelde

Die alten Villen um den S-Bahnhof Lichterfelde-West waren das heutige Ziel unseres Spazierganges, geführt und kommentiert von Herrn Wolfgang Holtz, dem früheren Vorsitzenden des Steglitzer Heimatvereins, einem anscheinend allen Lichterfeldern bekanntes „Urgewächs“, wie wir beim Rundgang feststellen konnten.
Zur Einführung gab es eine kurze „Geschichtsstunde“ mit alten Karten und Bildern vor dem Eingang des S-Bahnhofes zwischen den dortigen Marktständen. Lichterfelde wurde ähnlich wie Wannsee von einem weitblickenden Unternehmer gegründet, von Johann Anton Wilhelm von Carstenn (*1822, †1896). Dieser kaufte 1865 die Rittergüter Giesensdorf und Lichterfelde und gründete die Villenkolonie Lichterfelde. Um die Entwicklung der Kolonie zu fördern, ließ er auf eigene Kosten die Bahnhöfe Lichterfelde Ost (1868) an der Bahnlinie Berlin-Halle und Lichterfelde West (1872) an der Bahnlinie Berlin-Magdeburg erbauen. Letzterer entstand, weil Carstenn dem preußischen Staat 1871 rund 20 Hektar Land in Lichterfelde-West zum Bau einer neuen Kadettenanstalt (heutiges Bundesarchiv an der Finckensteinallee) geschenkt hatte und mit der Schenkung aber auch weitere Verpflichtungen zur Erschließung des Kasernengeländes übernehmen musste. Durch diese Auflagen verarmte er jedoch, die Erhebung in den Adelsstand mit dem Titel Carstenn-Lichterfelde durch Kaiser Wilhelm I. und ein Ehrensold auf Lebenszeit waren sicherlich kein adäquater Ausgleich. Er verstarb letztlich 1896 in einer Nervenheilanstalt in Berlin-Schöneberg. Die Villenkolonie entwickelte sich dann vor allem durch den Zuzug von mittleren und höheren Beamten sowie von Offizieren der Kadettenanstalt zu einer der ältesten Kolonien des heutigen Berlins, in das sie 1920 eingemeindet wurde. Der Bach Bäke, der durch die Villenkolonie floss, wurde 1906 zum Ausbau des Teltow-Kanals genutzt (Bäkestr. / Bäkebrücke).

Dann ging es los, 30 Mitglieder unseres Vereins mäanderten unter der fachkundigen Führung von Herrn Holtz und bei herrlichstem Wetter durch Lichterfelde und verursachten den einen oder anderen Stau auf dem Bürgersteig. Insgesamt war es ein circa 2 Kilometer langer Spaziergang. Hier unsere Strecke: S-Bahnhof Lichterfelde – Fußgängerunterführung zur Knesebeckstr. – Drakestr./ Unterführung – Hans-Sachs-Str./ S-Bahnhof – Curtiusstr. – Kadettenweg – Kommandantenstr. – Friedrichstr.– Karlplatz – Baseler Straße – Curtiusstr.

Nachstehend einige nur wenige Anmerkungen aus den Erläuterungen von Herrn Holtz, die er auch mit alten Fotos untermauerte.

S-Bahnhof Lichterfelde-West: Das im Stil eines toskanischen Landhauses mit Turm und Rundbögen erstellte Bahnhofsgebäude beherbergt heute einen Blumenladen, ein kleines Cafe sowie den „Bürgertreffpunkt“ und steht unter Denkmalschutz. Nach einem Brand 1965 musste ein größerer Teil renoviert werden.

Villa „Rückwardt“: der königliche Fotograf Hermann Oskar Rückwardt (*1845, †1919) wohnte ab 1892 in der Knesebeckstr. Nr 2. Bekannt wurde er durch seine Architekturfotografien. Seine Foto-Ausstattung, die er für die Aufnahmen benötigte, führte er auf einem Pferdewagen mit sich.Villa „Robert“: In dem Haus Drakestr. 42/ Ecke Knesebeckstr. starb 1887 Georg Fontane, der Sohn von Theodor und Emilie Fontane, an einem Blinddarmdurchbruch. Theodor Fontane wollte noch seinen Sohn sehen, als er von der Erkrankung erfuhr, der Zug kam aber mit etwas Verspätung in Lichterfelde-West an, Georg Fontane war ein paar Minuten vorher verstorben. Theodor Fontane soll bis zu seinem Lebensende den Bahnhof Lichterfelde-West deswegen gemieden haben.
Unterführung Drakestraße: Die 1890 nachträglich gebaute Unterführung wird scherzhaft die „Badeanstalt von Lichterfelde“ genannt, da sich früher bei Regen das Wasser in gewaltigen Mengen dort sammelte. Bis heute ist trotz Verbesserungsmaßnahmen der Abfluss des Regenwassers ein Problem.

Emisch-Haus: Das von dem Architekten Wilhelm Sander erbaute dekorative Fachwerkhaus an der Curtius-/Ecke Baseler Straße fällt vor allem durch seine reiche Bemalung und Verzierung auf. Zu den Künstlern, die sich an der Fassadengestaltung beteiligten, gehörte auch Ernst Heims. Er wählte die Tiere der Arche Noah als Motiv. Das Gebäude wurde 1902 von Paul Emisch erworben, der dort ein Bankgeschäft für Grundbesitz und Hypothekenverkehr eröffnete. Das Emisch-Haus wurde 1978 nach historischen Vorlagen wiederhergestellt. Zu beachten ist auch die „Paulus“- Figur in einer Nische der Außenwand.

Villa Holzhüter: Diese 1875 im Stil des Historismus erbaute Stadtvilla in der Curtiusstr. 10 ist eine der ältesten Villen in der Villenkolonie. Die dekorative Fassade ist an allen vier Seiten des Gebäudes vorhanden, ein Zeichen dafür, dass es früher frei stand und nicht von Nachbarhäusern eng umgeben war. Damals musste der Vorgarten auch mindestens 10 m lang sein.

Rother-Stift: Das Stift (Kommandantenstr. 9-11) war über 100 Jahre ein „Versorgungsinstitut für ältere, unverheiratete Töchter verstorbener Staatsdiener“. Die Rotherstiftung wurde 1840 von Oberfinanzrat Christian Rother (*1778, †1849) gegründet. Die notwendigen Mittel hierfür stammten aus Überschüssen des königlichen Leihamtes, die mildtätigen Zwecken zugeführt werden mussten. In Lichterfelde wurde 1896-98 das zweite Gebäude für die Stiftung nach Plänen von Alfred Körner errichtet.
Zum Abschluss stärkten wir uns im Restaurant Litehouse und verarbeiteten die kurzweiligen Eindrücke des Spazierganges. Ein weiteres Ziel wurde mit Herrn Holtz auch schon angedacht: das Gelände und die Gebäude der ehemaligen Kadettenanstalt, in der heute das Bundesarchiv untergebracht ist. Mal sehen, was daraus wird.

Für den interessierten Leser hier noch einige „Links“ zu Artikeln im Internet:

Michael Tunnat / Fotos: Werner Siepmann

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