Frau Bolte stellt nach einigen vereinsinternen Vorbemerkungen Frau Dörthe Kähler vor, die über den ersten deutschen Nobelpreisträger für Chemie, über Emil Fischer, sprechen wird. Diese ist auch Autorin des Buches „Der Nobelpreisträger. Emil Fischer in Berlin“.
Frau Kähler fragte sich nach ihrem Umzug in die Emil-Fischer-Straße in Wannsee wie so viele Fußgänger auch, wer dieser Emil Fischer eigentlich gewesen sei. So begann eine lange und intensive Beschäftigung mit einem Wissenschaftler, der zu seiner Zeit unzählige und bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse in der noch jungen organischen Chemie machte und dem nach allgemeiner Meinung auch zurecht 1902 als erstem Deutschen der seit 1901 gestiftete Nobelpreis für Chemie verliehen wurde. Ohne ihn hätte sich die Chemie und die chemische Industrie nie so rasant und schnell entwickeln und unser Leben in vielen Bereichen so grundlegend ändern können.
Umso erstaunlicher, dass sein Name nur noch in wissenschaftlichen Kreisen bekannt ist. Selbst bei den Nennungen früherer Nobelpreisträger, was gerade in diesen Tagen aus Anlass der Vergabe der diesjährigen Preisträger aktuell ist, taucht sein Name nicht auf.
Emil Fischer wird am 09. Oktober 1852 in Euskirchen in die 10-köpfige Familie eines international tätigen Wollhändlers geboren. Auf dem elterlichen Hof mit vielen Kindern erlebt er eine glückliche Kindheit, die nach Meinung vieler Beobachter die Grundlage für seine positive Persönlichkeit bietet. Er ist von der Mutter geprägt, die im Gedankengut der Herrnhuter Brüder lebt. Sein Vater war als erfolgreicher Wollhändler unzufrieden mit den zur Verfügung stehenden Farben und wollte schon immer einen Chemiker in der Familie haben. Mit 11 Jahren wird Emil in ein evangelisches Internat nach Wetzlar gebracht, mit 16 legt er in Bonn das Abitur ab. Nach dem Willen des Vaters soll er zur Fortführung der Familientradition Kaufmann werden. Nach dem Urteil des Vaters ist er für diese Lehre „zu dumm“, daher soll er studieren. Er beginnt ein Chemiestudium in Bonn, wechselt aber nach einem Semester nach Straßburg, wo ihn ein dort ansässiger Vetter aufnimmt. Fischer promoviert mit 20 Jahren bei Prof. Baeyer und entdeckt die Hydrazine, was als Grundlage für die organische Chemie anzusehen ist und später als Raketentreibstoff eingesetzt wird.
Er geht dann nach München, wird dort Privatdozent und dann mit 27 ordentlicher Professor. Er arbeitet unter den damaligen sehr unzureichend gesicherten Bedingungen (Quecksilbervergiftung) und ruiniert dabei dauerhaft seine Gesundheit. So muss er im Alter von 34 Jahren wegen Magen-Darminfektion für ein ganzes Jahr seine Tätigkeit einstellen und weilt zur Kur in Korsika.
Sein Ruf ist aber legendär, er hat viele Schüler, und alle werden erfolgreich.
Seine Berufung nach Würzburg als Ordinarius scheitert beinahe wegen seiner angeschlagenen Gesundheit. Er heiratet dort 1888 seine Frau Agnes, die aber schon 1895 stirbt. Mit ihr hat er drei Söhne, von denen aber nur Hermann den 1. Weltkrieg überlebt und 1960 als Professor in Berkeley stirbt.
Die Arbeitsbedingungen in Würzburg sind schlecht, alle Anträge auf Besserung werden vom bayerischen Landtag abgelehnt. Trotzdem veröffentlicht er großartige Forschungsergebnisse. Er lehnt alle Berufungen ab und erst 1892 folgt er einem Ruf von Althaus, dem preußischen Staatsminister für Kultur, nach Berlin. Fischer nimmt unter der Bedingung an, dass für ihn ein neues Labor gebaut wird, was versprochen, aber nicht gehalten wird. Erst 1900 wird in der Hessischen Straße ein bis in alle Details von ihm konzipiertes Labor gebaut, in dem z.B. später Lise Meitner und Otto Hahn ihre weltberühmten Experimente machten. Diese zwei werden übrigens heute noch dort mit einer Plakette geehrt, der Name Emil Fischer wird aber nicht genannt!
1902 erhält Emil Fischer dann den Nobelpreis für seine Zuckerforschungen. Er ist damals schon weltberühmt und nicht nur in der Wissenschaft bekannt. Er hat die Bausteine des Lebens entdeckt.
Seine Arbeitsweise und sein Arbeitstempo sind legendär. Er sucht immer nach Beweisen, er arbeitet nie abstrakt, immer praktisch. Er sieht Folgen voraus, stellt die richtigen, zu Lösungen führenden Fragen und bringt die Industrie dazu, seine Entdeckungen auch praktisch einzusetzen und zu verwerten. Die organische Chemie beruht auf seinen Arbeiten. Acht seiner Schüler werden Nobelpreisträger!
Emil Fischer erkennt sehr bald, dass in Deutschland ein zentrales Institut fehlt, das wissenschaftliche Erkenntnisse sammelt. Er thematisiert dies in vielen Vorträgen und kann endlich auch Kaiser Wilhelm II. für diese Idee begeistern. So kommt es 1911 zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, die sich durch den Staat, die Industrie und einzelne Spender finanziert. So entsteht dann auch sein Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem, das heute noch dort ist.
Während des 1. Weltkrieges arbeitet er, wie viele andere Wissenschaftler auch, für die Kriegswirtschaft, insbesondere um überlebenswichtige Ersatzprodukte zu entwickeln. Er arbeitet aber nie an der Entwicklung von Kampfstoffen mit. Er unterzeichnet zu Beginn des Krieges, wie andere Wissenschaftler auch, eine nationalistische Erklärung, die er nach zwei Jahren vergeblich zu widerrufen versucht. Das gelingt ihm erst nach dem Krieg.
Nach dem Krieg versucht Emil Fischer, in die Schweiz, nach England oder in die USA auszuwandern, was ihm aber nicht genehmigt wird. Er wird dann politisch aktiv, tritt 1918 der Deutschen Demokratischen Partei bei und setzt sich aktiv für eine bürgerliche Demokratie ein. Voller Elan lehrt er die heimgekehrten Soldaten-Studenten, muss aber schon zu Beginn des Jahres 1919 erkennen, dass seine Gesundheit schwer geschädigt ist. Die Schmerzen werden unerträglich. Im Juli bestätigt ihm ein Chirurg den Verdacht auf ein unheilbares Darmkarzinom, das nicht mehr zu operieren ist. Am 15. Juli 1919 stirbt Emil Fischer durch Einnahme von Zyankali.
In seinem Testament bedenkt er seinen einzigen überlebenden Sohn und seine Haushälterin mit Vermächtnissen, den Großteil seines Vermögens aber vermacht er der Wissenschaft.
Am 18. Juli 1919 wird er auf dem Neuen Friedhof an der Andreaskirche in Wannsee beerdigt, wo sein Grabmal noch heute steht. Die Trauerrede hält der Theologe Adolf von Harnack, der ihn den „heimlichen König der Wissenschaft“ nennt.
Es gibt noch viele interessante Nachfragen, was bei einem Thema wie der Chemie nicht zu erwarten war. Insbesondere beschäftigt uns die Frage, warum Emil Fischer in der heutigen Zeit vergessen ist und nicht einmal genannt wird, wenn in den Medien frühere Nobelpreisträger im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger aufgezählt werden. Sein Denkmal in Dahlem ist kaum zu finden. Es gibt eine kleine Straße mit seinem Namen in Wannsee, einen Schaukasten mit Erläuterungen, aber keine Ehrentafel am Haus, in dem er gelebt hat (früher Moltkestraße 24, jetzt Hugo-Vogel-Straße 24/25).
Es wird angeregt, dass der Verein sich bei den zuständigen Stellen um eine Ehrentafel bemüht, was breite Zustimmung findet.
Die Anwesenden danken Frau Kähler mit lang anhaltendem Beifall für eine eindrucksvolle und mit großer Begeisterung vorgetragene Darstellung des Lebens und Wirkens dieses großen deutschen Wissenschaftlers, der in Wannsee gelebt hat.
(Dörthe Kähler, Der Nobelpreisträger Emil Fischer in Berlin, rainStein-Verlag, Berlin 2009 )
Ulrich Locherer