Der Potsdamer Telegrafenberg

Mehr als 20 Mitglieder und Gäste trafen sich am Eingang zum Wissenschaftspark Potsdam mit Herrn Kurt Arlt, der hier jahrelang als Wissenschaftler am Sonnenobservatorium Einsteinturm gearbeitet hat und nun als Geschäftsführer des Fördervereins Großer Refraktor Potsdam e.V. tätig ist.Der Telegrafenberg erhielt seinen Namen wegen des dort 1832 unter Friedrich Wilhelm III. errichteten 4. Mastes einer optischen Telegraphenlinie, die mit 61 Stationen eine 550 km lange, ausschließlich militärischen Zwecken dienende Nachrichtenverbindung zwischen Berlin und Koblenz ermöglichte.

Ab 1874 wurden nach den Plänen von Paul E. Spieker auf königliche Anordnung wissenschaftliche Institutionen gebaut, die auf dem nach damaligen Verhältnissen weitab von Potsdam gelegenen Berg von der Stadt völlig unabhängig waren und sich selbst versorgen konnten. Während des Rundgangs durch den weitläufigen Landschaftsgarten weist Herr Arlt auf die eindrucksvolle, von Karl Friedrich Schinkel inspirierte klassizistische Architektur der Institute hin. Das einheitliche, für preußische Bauten typische brandenburgische Ziegelmauerwerk wurde auch beim Neubau des GeoForschungszentrums in den 90er Jahren beibehalten. Der große Gebäudekomplex wurde aufgelockert und harmonisch in die Landschaft einpasst. Das davor errichtete moderne Säulenforum aus Bohrkernen verschiedenster Gesteine, die auf Basaltplatten stehen, weist auf die Arbeit dieses Instituts hin. Mit seinen mehr als tausend Mitarbeitern ist es durch seine Arbeit am Tsunami-Warnsystem weltweit bekannt geworden.
Nach dem daneben liegenden Kantinengebäude ist ein mit modernsten Mitteln ausgestattetes Konferenzzentrum eingerichtet. Wir kommen dann zum Gebäude des ehemaligen Meteorologischen Observatoriums, das es unter seinem Leiter Reinhard Sühring schon früh zu Weltruhm brachte und dessen Büste vor dem Gebäude steht, in dem bis zur Wende der Wetterdienst der DDR untergebracht war. Es beherbergt nun das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Auf dem davor gelegenen Freigelände können wir noch die seit hundert Jahren arbeitende Messstation für Klimadaten, deren minuziös genau aufgezeichnete Daten auch heute noch verfügbar sind und deren Messungen trotz elektronischer und digitaler Aufzeichnungsmöglichkeiten immer noch fortgeführt werden.

Das daneben liegende kleine Gebäude des Paläomagnetischen Instituts von 1888, bei dessen Bau kein Eisen verwendet werden durfte und das zur Temperaturstabilisierung des Innenraums als „Raum im Raum“ konzipiert wurde, diente schon damals zur Erforschung des Magnetfeldes der Erde. Man ermittelte aus Gesteinsproben die Ausrichtung des Magnetfeldes vor Abertausenden von Jahren. Nun arbeitet dieses Institut fernab der Zivilisation tief in einem Wald bei Niemegk.

Wir erreichen dann das 1874-76 errichtete Gebäude des früheren Astrophysikalischen Instituts, das mit seinen drei Kuppeln auch heute noch beeindruckt und von denen zwei nach kompletter Restaurierung für Seminarräume und eine Bibliothek genutzt werden. In der dritten Kuppel werden heute noch Beobachtungen gemacht, wie z.B. die sogenannten Venusdurchgänge. Obwohl insbesondere Prof. H.C. Vogel als erster Leiter des Observatoriums ein großer Name in der Wissenschaftswelt war und ist, wurde das Gebäude nach dem amerikanischen Wissenschaftler Michelson benannt, der hier als Erster im Experiment nachweisen konnte, dass sich Licht wellenförmig ausbreitet. Neben diesem Gebäude wird ein moscheeähnliches kleines Gebäude restauriert, auf dessen Dach von 1832 bis 1852 der optische 6-flüglige Telegraph arbeitete, der dem Berg den Namen gab und nun als Nachbildung daneben steht. Man konnte durch die Kombination der Stellung von 6 Flügeln mehr als 4600 Zeichen darstellen und über 61 Stationen eine für die damalige Zeit revolutionär schnelle Nachrichtenübermittlung ermöglichen. So konnte ein Telegramm von 30 Wörtern in nur 1½ Stunden übermittelt werden.

Wir erreichen dann das imposante Gebäude des Großen Refraktors, in dem 1899 in Anwesenheit des Kaisers das Hauptteleskop des Astrophysikalischen Instituts in Betrieb genommen wurde. Wir stehen voller Bewunderung vor dem gigantischen Spiegelteleskop, einem sogenannten Doppelrefraktor. Es ist mit zwei gläsernen Objektiven von 80 und 50 cm Durchmesser und einem beweglichen Gewicht von
7 Tonnen das viertgrößte der Welt. Alle technischen Einrichtungen in der Kuppel von 21 m Durchmesser und einem Gewicht von 200 Tonnen wurde schon damals elektrisch bewegt. Sie wurden nach Beendigung der wissenschaftlichen Arbeiten im Jahre 1968 vernachlässigt und 1997 in schrottreifem Zustand von einem neu gegründeten Förderverein übernommen. Gebäude und Kuppel mussten erneuert werden, das Teleskop wurde ausgebaut, in Jena restauriert und 2006 wieder in Betrieb genommen. Zahllose private und öffentliche Spender und Geldgeber und die unermüdliche Arbeit der Vereinsmitglieder haben es ermöglicht, dass ein Wunderwerk wissenschaftlicher Technik erhalten werden konnte, in dem von großen, weltweit berühmten Wissenschaftlern bedeutende Forschungen durchgeführt wurden. Es ist nun als Zeugnis für die Bedeutung der deutschen Technik und Wissenschaften wieder zu bewundern und für wissenschaftliche Führungen zu nutzen.
Noch erfüllt von Eindrücken führt uns Herr Arlt dann zum Einsteinturm, der von 1919–24 in Zusammenarbeit des Physikers Albert Einstein, des Astronomen Erwin Finlay Freundlich und des Architekten Erich Mendelsohn als Sonnenobservatorium entworfen und erbaut wurde. Es diente u. a. für Experimente zum Nachweis der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins und wird auch heute noch intensiv wissenschaftlich genutzt. Berühmt ist das Gebäude aber insbesondere für die für damalige Zeiten revolutionäre Anwendung von Stahlbeton in der Architektur, obwohl die geplante Modellierung des „Turmes“ technisch noch nicht möglich war. Er wurde daher über dem Erdgeschoss gemauert und verputzt.

Hier endet ein mit herzlichem Beifall bedachter Rundgang durch einen eindrucksvollen Park der Wissenschaften, der uns von Herrn Kurt Arlt engagiert und mit großer Detailkenntnis so interessant vorgestellt wurde, dass wir kalten Nieselregen und Kälte vergaßen: Dies war ein Höhepunkt im Jahresprogramm unseres Vereins.

Ulrich Locherer

(Fotos: Werner Siepmann)

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