Colonie Alsen

Frau Bolte begrüßt die Anwesenden und dankt Herrn Eberhard Gertis, dass er mit seinem Vortrag eingesprungen ist, da Herr Immenhausen, der über die neue Ausstellung „Maler in Wannsee“ informieren wollte, aus Zeitgründen absagen musste. Wir werden die Ausstellung am 9. Februar 2012 im Rahmen einer Sonderführung besuchen.

Herr Gertis hat durch weitere Recherchen im Stadtarchiv und Grundbuchamt viele neue Details erfahren, die er in seinem Buch veröffentlicht hat, das am 6. Dezember 2011 erscheinen wird.

Zum Auftakt zitiert Herr Gertis Theodor Fontane aus dem Jahre 1861: „An dieser Stelle, auf dem Plateau am Wannsee (wenn unsere Wünsche in Erfüllung gehen), werden sich innerhalb einiger Jahre díe Sommerwohnungen vieler unserer Residenzler erheben; hierhin werden die Villas verpflanzt werden, denen es an der Lisière des Tiergartens hin bereits zu städtisch zu werden beginnt.“ Ob  nun diese Worte in der „Kreuzzeitung“ oder die Segelleidenschaft Wilhelm Conrad veranlasst haben, hier die „Colonie Alsen“ zu gründen, wissen wir nicht.
Conrad, über dessen Leben Herr Gertis kurz berichtet, hatte über seine Bankaktivitäten u. a. die Wannseebahn (die „Wahnsinnsbahn auf Conrädern“) mitfinanziert und kam so 1863 hierher. Er kaufte den ehemaligen Stimmingschen Krug samt Land, riss das verfallene Gebäude ab und baute 1870 die „Villa Alsen“.
Über seine Mitgliedschaft im „Club von Berlin“ warb er bei den reichen Mitgliedern für seine Idee, entlang des Großen und des Kleinen Wannsees Grundstücke mit Sommervillen zu bebauen. Die Zeit zwischen 1863 und 1870 hatte er benutzt, um Land von den alten Wannseer Bauern zu erwerben, Wege anzulegen und das Gelände zu parzellieren. Zusammen mit Gustav Meyer, einem Schüler von Peter Joseph Lenné, plante er die Anlage, deren Zentrum das sogenannte Hippodrom war, heute das Gelände zwischen Conradstraße, Straße am Großen Wannsee und Straße am Kleinen Wannsee.
In die Grundbücher der Ufer-Anlieger wurden Belastungen in der Art von Blickschneisen eingetragen, damit den Menschen, deren Villen nicht unmittelbar am Wasser lagen, der Blick auf den See möglich war. Außerdem gab es in den Verträgen weitere merkwürdige Bedingungen:
– es mussten villenartige Gebäude errichtet werden,
– die Grundstücke mussten umfriedet werden, aber nicht höher als 94 cm,
– die Bauten mussten in zwei Jahren begonnen und bis zum Rohbau fertig
sein,
– die Abstände zu den Nachbarn und zur Straße mussten 5,66 cm (!)
betragen, es durften keine Gewerbebetriebe errichtet werden usw.

Der erste Grundstückserwerber war Eduard von der Heydt. Er war Diplomat in New York, kaufte sich nach seiner Rückkehr in die Deutsche Bank ein und war später Mitglied im Aufsichtsrat der Disconto Bank. Sein Grundstück lag in der heutigen Kaiserstraße 2-3, war etwa 30.000qm groß und kostete 14.862 große Taler und 45 Silbergroschen. Er ließ sich von den Architekten Kyllmann und Heyden eine Villa im italienischen Renaissancestil bauen. Nach dem Verkauf 1926 wurde die Villa zu einem exklusiven Hotel und Restaurant, dem „Haus am See“, war ab 1939 „Schulungsburg der Deutschen Arbeitsfront“ und wurde 1960 wegen schwerer Kriegsschäden abgerissen.
Oscar Begas, Maler und Bruder des Bildhauers Reinhold Begas, kaufte 1871 das zweite Grundstück für 3.000 Taler „Am Kleinen Wannsee 2“ und, obwohl er noch ein Stück an den Leiter des Preußischen Forstwesens von Ulrici abgab, gehörten ihm immer noch 7891 qm Land und 11.270 qm Wasser. Das von ihm selbst entworfene Haus steht ebenfalls nicht mehr.
Der dritte Kolonist war der Architekt Walter Kyllmann, der das Grundstück mit 7660 qm Land und 11580 qm Wasser „Am Kleinen Wannsee 4“ für ebenfalls 3.000 Taler kaufte. Dazu gehörten Obst- und Gemüsegärten auf der anderen Straßenseite, auf der heute das Immanuel-Krankenhaus steht. Kyllmann und sein Partner Adolf Heyden bauten ihre Villen selbst sowie weitere Villen an den beiden Seen. Kyllmann betätigte sich neben seiner Arbeit als Architekt auch in der Gemeinde Wannsee und hielt z.B. als Gemeindevertreter die Rede zur Einweihung des Rathauses Wannsee.
Der vierte Kaufvertrag wurde mit der Ehefrau des Architekten Hermann Ende geschlossen. Der Preis betrug 23.000 Taler und wurde mit 5% über 20 Jahre abgezahlt. Über die Gründe für die verhältnismäßig hohe Summe und die seltsame Zahlungsvereinbarung ließen sich keine Aufzeichnungen finden. Hermann Ende baute sich am Wannsee ein verhältnismäßig kleines Haus, das er jedoch ständig erweitern musste, da er 11 Kinder hatte.
Heinrich Quistorp, ein Grundstücksspekulant, kaufte 1871 das Gelände zwischen Kaiserstraße, Conradstraße und Straße zum Löwen, das nach ihm benannte Quistorpsche Dreieck. Hier lebten die Bankiers Alexander Schoeller und Georg Meyer, der Baumeister Ernst Petzholtz, der Maler Carl Becker sowie Martin Liebermann. Ferner erwarb Quistorp das Grundstück Straße zum Löwen 9, auf dem sich noch heute das so genannte Löwenpensionat befindet. Er hat aber nie auf einem der Grundstücke gebaut, sondern er hat sie weiter verkauft. Da er alle Grundstückskäufe über Kredite finanzierte, ging er mit dem Börsenkrach 1873 in Konkurs und verlor alles.
Zu den weiteren Ersterwerbern in der Kolonie Alsen gehörten die Bankiers Heinrich Leo (Am Großen Wannsee 5), Adolph Abel (Straße zum Löwen 18/ Kaiserstraße 1) und Friedrich Burghalter. (Am Großen Wannsee 21). Das zuletzt genannte Grundstück ging 1877 an Ludwig Polborn, dessen Villa bis heute erhalten ist.
Wenn die erstgenannten Villen jedoch nicht mehr vorhanden sind, so können wir sie wenigstens auf Fotos, demnächst auch in Herrn Gertis’ Buch, bewundern. Dennoch können wir heute so manche große Villa Am Großen oder Kleinen Wannsee entdecken, wenn wir, wie bereits geplant, im neuen Jahr mit Herrn Gertis einen Spaziergang durch die „Colonie Alsen“ verabreden, worüber dann auch wieder zu berichten sein wird.
Darauf freuen sich schon jetzt die Mitglieder, versichert Frau Bolte mit einem herzlichen Dankeschön für den sehr interessanten und mit Anekdoten geschmückten Vortrag über die allerersten Kolonisten.

Jutta Tranquilini

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