Im Rahmen des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ hatte der Verein bereits am 16. April d. J. die einführende Ausstellung im Deutschen Historischen Museum besucht und widmete sich nun der Sammlung: „Von Orenstein bis Loewe“ im Technik-Museum.
In den jeweils zuständigen Abteilungen wurde an einige jüdische Erfinder erinnert, die z. T. noch rechtzeitig das nationalsozialistische Deutschland verlassen konnten, und an andere, die in Konzentrationslagern ermordet wurden.
So wird Orenstein & Koppel als ein deutsches Unternehmen des Maschinenbaus vorgestellt, das 1876 von Benno Orenstein gegründet wurde. Er wohnte übrigens in Wannsee in der Friedrich-Karl-Straße 27, starb 1926 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee beerdigt, wo wir mit Mitgliedern unseres Vereins schon einmal an seinem Grab standen. Nach seinem Tode leitete sein Sohn Alfred dieses Berliner Weltunternehmen für Lokomotiv- und Waggonbau, bis er 1935 in die Emigration getrieben wurde. Die Namen der jüdischen Unternehmensgründer wurden aus der Firma getilgt.
Den anderen Namensgeber für die Sonderschau spürten wir im Bereich Nachrichtentechnik auf. Unser Mitglied Herr Rahn erzählte, dass er mal in der Firma Siegmund Loewe in Steglitz gearbeitet hat, und zeigte uns die sogenannten „Mehrfachröhren“, mit denen das Loewe-Radio eine der ersten „integrierten Schaltungen“ herausbrachte. Kleine Kristall-Detektor sind auch ausgestellt so wie ein großes Plakat, das wohl als Abschreckung dienen sollte: 1942 wurde ein junger Bursche wegen „Abhörens eines Auslandssenders“ hingerichtet!
Dies waren nur zwei Stationen aus der dezentral eingerichteten Sonderausstellung.
Nach einer Stärkung im Café Anhalt, dem ehemaligen Kutscherstübchen, wo sich einst die Bierkutscher ausruhten, ehe sie das Stangeneis zum Kühlen der Bieranlagen in die vielen Kneipen Berlins fuhren, wurden wir eine gute Stunde von Herrn Zwintzscher, einem sehr engagierten TU-Studenten, durch einige Abteilungen dieses großartigen Museums geführt. In diesem Jahr feiert es sein 30-jähriges Bestehen.
Entstanden ist es aus mehreren Sammlungen, vor allem aus dem Verkehrs- und Baumuseum, das man im Hamburger Bahnhof untergebracht hatte, nachdem dieser mit seinen nur vier Gleisen sehr schnell zu klein für die Beförderung von Personen geworden war. Auf diesen Tatbestand hat uns bei unserem Spaziergang am Schönhauser Graben schon Herr Kutschmar hingewiesen (s. Bericht).
Aus den vielen Ausstellungen wählt Herr Zwintzscher als erstes die Eisenbahn-Abteilung aus. Da wir uns mit dem Museum auf dem Terrain des ehemaligen Anhalter Bahnhofs samt dem Betriebswerk befinden, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass wir zu Beginn unter einem Original-Eingangstor des Anhalter Bahnhofs stehen. So entdecken wir auch die Originalfiguren „Tag“ und „Nacht“; hiervon befinden sich Repliken an dem kleinen Restbau des Empfangsgebäudes an der heutigen Stresemannstraße. Was aus der einstigen Pracht geworden ist, sehen wir auf Fotos des jüdischen Fotografen Henry Ries: Menschen, die nach dem 2. Weltkrieg als Flüchtlinge auf dem zerstörten Bahnhof angekommen sind.
Wir erblicken aber auch zwei zeitgenössische Riesengemälde aus der Mitte des 19.Jahrhunderts, die die Errungenschaft der neuen Technik preisen. Auf dem linken Bild kann man zwar noch die unten fahrende Postkutsche wahrnehmen, aber oben fährt über einer großen Brücke die neue Eisenbahn! Nach dem „Adler“ 1835 von Nürnberg nach Fürth führte schon 1838 die Eisenbahn von Berlin nach Potsdam!
In dem 1. Lokschuppen des ehemaligen Bahnhofs befinden sich die Loks und Züge bis zum 1. Weltkrieg, auch der Salonwagen des Kaisers.
Eine kleine, 1989 nachgebaute Vorführbahn mit Elektromotor von Siemens & Halske, die man für 20 Pfg. auf der Weltausstellung ausprobieren konnte, ist ebenfalls ausgestellt.
Im 2. Lokschuppen werden wir mit einer sehr schnittigen stromlinienförmigen Lok konfrontiert, auf der unter dem Reichsadler das Hakenkreuz prangt. Dieses Fortschrittssymbol muss lt. Dr. Gottwaldt, dem Leiter der Abteilung Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum, im Kontext mit der Vernichtung der den Nazis unliebsamen Menschen gesehen werden. Die Menschen wurden nach Auschwitz in Güterzügen der Reichsbahn gebracht, wofür diese pro Mensch und Kilometer Geld bekommen hat; nur Kinder unter vier Jahren waren „frei“. Das Technik-Museum war das erste in Deutschland, das auf die Verstrickung der Reichsbahn im NS-Regime hinwies.
Am Ende stehen wir vor einem Modell der gesamten Anlage des ehemaligen Anhalter Bahnhofs, der 2,5 km lang war, im Maßstab: 1 zu 87. Einige ältere Herren sind hier am Werk, und wir werden von Herrn Zwintzscher auf den sehr rührigen Förderkreis aufmerksam gemacht, ohne den vieles nicht möglich gewesen wäre und auch in Zukunft sein wird!
Einem sehr erfreulichen Thema wenden wir uns bei der Schmuckproduktion zu. In Kontakt mit der Hochschule in Pforzheim, der Goldstadt, wurde die Fertigung von Schmuck aus der Zeit des Jugendstils oder des Art deco erforscht und hier in der Werkstatt nachgearbeitet. Auch die berühmten Fabergé- Eier kann man hier bewundern.
Am Ende führt uns Herr Zwintzscher in die Papier-Abteilung, um uns zu zeigen, dass sich hier einst die Pferdeställe befanden. Um 1902 ist das Gebäude errichtet worden, als die Berliner Bevölkerung auf zwei Millionen Menschen angewachsen war und man in diesem Haus Carl Lindes Erfindung des Kunsteises auch zur besseren Versorgung nutzte. Schon 1879 hatte Linde die Gesellschaft für Lindes Eismaschinen AG (heute Linde AG) gegründet. Einige Mitglieder erinnern sich an den 1. Eisschrank (Eisfink) und natürlich an die schon erwähnten Kutscher, die das Stangeneis nicht nur in die Kneipen, sondern auch der Bevölkerung für ihre „Kühlschränke“ brachte.
Es mussten hier so viele Pferde untergebracht werden, dass sie nicht alle ebenerdig unterkamen, sondern über eine Pferde-Wendeltreppe auch in den 1. und 2. Stock geführt werden mussten. Über diese Treppe
kann man noch heute in den Hof hinuntergehen, von wo aus es früher zu den kranken Pferden in den im Erdgeschoss befindlichen Krankenstall ging.
Nach diesem nostalgischen Exkurs in vergangene Zeiten bedankten wir uns sehr herzlich bei dem engagierten jungen Studenten.
Viele von uns meinten, doch bald mal wieder in dieses interessante Haus fahren zu wollen, um die vielen anderen Ausstellungsräume wie z.B. die Schiffs- oder die Flugzeug-Abteilung kennenzulernen. Seit 1999 steht ein „Rosinenbomber“ als weithin sichtbares Ausstellungsstück auf dem Dach des Neubaus des Technikmuseums. Und die kleine „Cessna“, mit der Mathias Rust auf dem Roten Platz in Moskau landete, begrüßte uns schon gleich zu Beginn in der Eingangshalle.
Außerdem gibt es Oldtimer in der „Ladestraße“, aber links am Eingang als erstes eine Droschke mit dem Gipsmodell unseres „Eisernen Gustavs“, so wie es heute in Bronze, aber leider so weit weg von Wannsee an der Potsdamer Straße in Schönberg steht.
Hannelore Bolte
(Fotos: Werner Siepmann)