Besuch des Stahnsdorfer Friedhofs

Regen! Keine guten Aussichten für einen Besuch auf dem Stahnsdorfer Friedhof! Aber Petrus hat ein Einsehen mit uns, und pünktlich zum festgesetzten Termin blitzt die Sonne durch die Wolken und die Welt ist “blank geputzt”!

Am Treffpunkt, dem Rathaus Wannsee, wird von den Autofahrern eifrig die Frage der Route diskutiert. In drei Richtungen schwärmt man aus und ist dennoch pünktlich am Eingang des Friedhofes. Dort treffen wir auf die Teilnehmer, die zu Fuß oder sportlich per Fahrrad ihr Ziel noch vor uns erreicht haben.

Frau Bolte, wie immer bestens vorbereitet, hält am Eingang den Einführungsvortrag. Da auf den innerstädtischen Kirchhöfen im Südwesten Berlins, Charlottenburgs und Schönebergs nicht mehr ausreichend Bestattungsfläche zur Verfügung stand, erwarb die Berliner Stadtsynode im Jahre 1902 156 Hektar Waldland südlich des Teltowkanals zur Errichtung eines Zentralfriedhofes. 1909 eröffnete der Südwestkirchhof, der durch Gartenbaumeister Louis Meyer nach Vorbild der Anlagen von Peter Joseph Lenné gestaltet wurde. Hier setzte man erstmals für Berlin die Idee eines Waldfriedhofs um, in dem für jede Kirchengemeinde ein bestimmter Begräbnisblock eingerichtet wurde. Das enge Verhältnis der Friedhofsbauten zur Natur, eingegliedert in den ursprünglichen Bauernwald mit hohen Bäumen und geringem Unterholz, prägt bis heute entscheidend das Bild dieser Stahnsdorfer Anlage, so dass man eher den Eindruck eines Parks als den eines Friedhofes erhält. Durch die politische Teilung Deutschlands und den Mauerbau im Jahre 1961 wurde der Friedhof von seinem ursprünglichen Einzugsgebiet abgeschnitten, und Besuche konnten in der Regel nur noch mit Sondergenehmigung erfolgen. Seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung gibt es verschiedene Maßnahmen zur Bestandssicherung. Der Südwestkirchhof Stahnsdorf ist noch heute ein aktiver Bestattungsplatz, auf dem bisher ca. 110.000 Personen, darunter zahlreiche einst bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft bestattet wurden.

Unter ortskundiger Führung von Frau Bolte machen wir uns auf den Weg. Berühmte Namen und ihre Begräbnisstätten begegnen uns wie Walter Gropius, der Vater des berühmten Bauhaus-Architekten , der “Hellseher” Hanussen, Friedrich Wilhelm Murnau (Filmregisseur), Humperdinck (Komponist von “Hänsel und Gretel“), Kunert (Tiermaler in “Brehms Tierleben”), Langenscheidt (Begründer des Sprach- und Wörterbuchverlages “Langenscheidt“), Rumpler (Flugzeug- und Autokonstrukteur) und viele andere bekannte Persönlichkeiten. Rumpler hatte in Johannisthal die „Rumpler Taube“ konstruiert, durfte aber nach dem Versailler Vertrag keine Flugzeuge mehr bauen und verlegte sich auf den Automobilbau. Seine Erfahrungen in der Aerodynamik nutzend, entwickelte er den sog. „Tropfenwagen“, den man noch heute in unserem Museum der Technik bewundern kann. Graf Georg von Arco, Mitbegründer der Telefunken-Gesellschaft, ist zusammen mit Prof. Slaby die erste drahtlose Telegrafie von der Matrosenstation „Kongnäs“ am Jungfernsee zum Campanile der gegenüberliegenden Sacrower Heilandskirche gelungen. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Grab von Heinrich Zille (der Berliner sagt auch liebevoll “Pinselheinrich“) geschenkt. Nach mühsamen Suchen wird das Grab der Elisabeth Baronin von Ardenne, geborene Edle und Freifrau von Plotho, gefunden, und Frau Bolte erzählt hierzu die wahre Geschichte der “Effi Briest”, die anders als bei Fontane nicht jung an gebrochenem Herzen gestorben ist, sondern erst 99-jährig im Jahre 1952. Nach ihrem „Schritt vom Wege“ hatte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin in der Nervenheilanstalt Zehlendorf absolviert und sich damit unabhängig gemacht! Die Familie Siemens hat einen großen, mit einer Mauer umfriedeten Bestattungskomplex. Hier liegen der Begründer des großen Unternehmens, der 1888 geadelte Werner von Siemens, sowie 16 weitere Familienmitglieder. Sein Sohn Arnold ist mit seiner Familie in einer ähnlichen Anlage auf unserem Neuen Friedhof in Wannsee beigesetzt. Auch sehr beeindruckende Mausoleen finden wir am Wegesrand, so z. B. das Mausoleum Harteneck, das 1913 wie ein ägyptischer Tempel aus Muschelkalkstein errichtet wurde (schräg gegenüber von der Kirche). Die Grunewald-Villa Harteneck in der Douglasstraße 9 – erfahren wir – ist auch von der Fontanestraße zwischen Nr. 13 und 17 öffentlich begehbar, da das Anwesen in den 80er Jahren von der Denkmalpflege wiederhergestellt wurde.
Ein ganz besonderes Grabdenkmal, „ein gotischer Dom in Beton“, ist von Max Taut für den Kaufmann Julius Wissinger geschaffen worden. Die Friedhofsverwaltung willigte in diese expressionistische Form erst ein, als die Wissingers das Umfeld zukauften. Noch vor dem Mauerfall wurde es 1987/88 durch eine West- Berliner Firma rekonstruiert.
Da dieser Friedhof so weitläufig ist, wird nur auf den Englischen und Italienischen Soldatenfriedhof verwiesen; auf einen Besuch müssen wir leider verzichten. Frau Bolte zeigt aber einen Zeitungsausschnitt von dem Besuch der Queen am 3. 11. 2004 in Stahnsdorf. Auf dem Rückweg kommen wir am neuen Friedwald vorbei. Vier kleine Begräbnissteine um je einen Baum werden hier als neue Bestattungsform angeboten.
Es gilt noch schnell einen Blick in die dreischiffige Holzkapelle von Gustav Werner aus dem Jahre 1911 zu werfen. Sie wurde nach dem Vorbild der Stabholzkirche Wang im Riesengebirge errichtet, die wiederum 1841 aus dem norwegischen Vang von dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. erworben wurde.
Müde vom Laufen in dieser weitläufigen Anlage und glücklich, dass das Wetter gehalten hat – jeder hatte einen Schirm dabei -, beschließen wir, diesen Tag gemeinsam in der Gaststätte Chopin in Wannsee harmonisch ausklingen zu lassen.

Inge Redlich

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