Besuch der Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“

Wir hatten uns aufgemacht, Berlins vergessene Mitte im Ephraim-Palais wiederzufinden. Zwei sachkundige Führer/innen begleiteten uns durch das Palais, das selbst ein beredtes Beispiel ist für die wechselvolle Geschichte der Bauten in Berlin und Cölln. 1766 für den Hofjuwelier Ephraim am Mühlendamm erbaut, wurde es 1930 bei der Erneuerung des Mühlendamms abgetragen, im Wedding für den Wiederaufbau eingelagert, 1980 im Tausch mit dem KPM-Archiv zur 750-Jahrfeier Berlins der DDR übergeben, die es dann, um 15 Meter verschoben, wieder aufbaute.
Derzeit laufende Grabungen für die U-Bahn bringen am Roten Rathaus den Grundstein für das im Mittelalter erbaute Rathaus von Berlin zutage, der im Erdgeschoss die Ausstellung eindrucksvoll eröffnet. Die Ausstellung zeigt in 18 Räumen auf Stichen, Plänen, 380 Originalfotos (1840 – 2010) und wenigen uns erhaltenen Fundstücken, wie die Städte Berlin und Cölln entstanden sind, sich entwickelt haben und die dann als Mitte der Reichshauptstadt untergegangen sind. Es werden die Siedlungskerne der Doppelstadt Berlin-Cölln, Stadtquartiere mittelalterlichen Ursprungs rund um die Kirchen St. Marien, St. Nikolai und St. Petri gezeigt. Von 1500 Gebäuden, die dort um 1840 standen, wurden 1488 bis 1970 abgerissen oder zerstört. Sie fielen den Ansprüchen der Monarchen, wirtschaftlichen Notwendigkeiten, Verkehrsplanungen, dem Bombenkrieg und nicht zuletzt dem Fortschrittsglauben der Nachkriegszeit zum Opfer. So kann man heute nur noch an wenigen Straßennamen erahnen, wo einst pulsierendes Leben, Geschäftigkeit in engen Straßen und großartige Architektur vorhanden war. Besondere Straßen, Plätze, Kirchen und herausragende Bauten werden gezeigt. Ihre Bedeutung für die Menschen und die sozialen Probleme werden in einzelnen Räumen dargestellt. Schon die Planungen von 1868 sahen 103 Straßendurchbrüche und 13 neue Brücken vor, von denen aber nur ganz wenige ausgeführt wurden. Geschichtsvergessenheit und architektonische Brachialgewalt der 1920er und 1930er Jahre riss tiefe Wunden in die alte Mitte. Was die Bomben nicht schafften, erledigte dann nach 1949 der „sozialistische Aufbau“.

So standen wir nachdenklich vor dem mittelalterlichen Stadtplan von 1652, einer Vedoute von 1833, die eine mächtige Festungsstadt zeigt, Fotos der Petri-, Marien- und Nikolaikirchen, den alten Rathäusern von Cölln und Berlin, dem zerfallenden Krögel, der prächtigen Börse, dem Fischerkiez und nicht zuletzt dem Berliner Schloss mit Nationaldenkmal und der Museumsinsel.

Am Ende der Ausstellung werden einige wenige Ideenskizzen für die künftige Gestaltung der Mitte Berlins gezeigt, die uns sehr nachdenklich zurück lassen. Sie machen uns besonders den Verlust der verlorenen und vergessenen Altstadt bewusst und wie schwierig es sein wird, auch eine nur ansatzweise befriedigende Mitte Berlins wieder herzustellen.

Ulrich Locherer

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