Eine Besichtigung ganz besonderer Art erleben wir am 26. August, nämlich die Führung im und um das „Landhaus Oppenheim“. Wir Wannseer kennen die Bilder dieses Hauses von dem alten Wannsee-Buch von Dr. Brasch, das im vergangenen Jahr von Wolfgang Immenhausen wieder aufgelegt wurde, von dem großen Band: „Ein Wannsee-Bilderbuch“ und von „Villenkolonien in Wannsee 1870-1945“, aber die meisten von uns haben das Gelände noch nie betreten. Dieses versteckte Kleinod Messelscher Architektur holt der Architekt, Herr Christian Dierkes, ein Enkel von Hans Poelzig, aus dem Dornröschenschlaf hervor.
Auch von mir in der Einladung fälschlicherweise als „Villa“ bezeichnet, ist dieser „Große Messel“ typologisch ein Landhaus, ein lang gestreckter, neunachsiger Bau, der ebenerdig ohne Sockel in den Garten gesetzt wurde. 1907 hat der Architekt Alfred Messel, der vor allem durch das Kaufhaus Wertheim an der Leipziger Straße berühmt wurde, mit dem Bau dieses Landhauses für Dr. Franz Oppenheim (1852- 1929) Am Großen Wannsee begonnen, das – wie damals üblich – nur in den Sommermonaten genutzt wurde. Von dem Garten, an dem der wichtigste Mitarbeiter Messels, Paul Baumgarten, wirkte, ist nichts mehr zu sehen. Es gab hier einst eine weite Rasenfläche mit der Sichtachse zum Großen Wannsee von der Loggia aus, mit einem Rosengarten, einem großen Bocciaplatz, Tierplastiken von Albert Gaul, so auch den „Pinguin-Brunnen“ u. v. a. m. Von den Nebengebäuden existiert noch das alte Forsthaus links am Eingang von der Straße Zum Heckeshorn. Seit den 80er Jahren ist das Landhaus auf dem ehemals 14150 qm großen Grundstück durch eine Wohnblockbebauung seiner räumlichen Wirkung beraubt. Von der Straße Am Großen Wannsee – gegenüber der Colomierstraße befand sich eine Zufahrt – ist das Gelände nicht mehr erreichbar. Heute lautet die Adresse: Zum Heckeshorn Nr. 38.
Dr. Franz Oppenheim hatte als Chemiker Beachtliches für die Filmindustrie entwickelt, war Generaldirektor der AGFA und Mitbegründer der IG Farben. Auch die Gründung der Farbenfabrik Wolfen wird seinem Wirken zugeschrieben. Seine 2. Ehefrau Margarete war eine außerordentlich kunstliebende Frau, die schon sehr frühzeitig die Moderne favorisierte. Von ihren ca. 60 sehr wertvollen Gemälden waren allein sechs Bilder von Paul Cezanne. Wenn man im Frühjahr nach Wannsee zog, nahm man auch die Bilder mit, die dann in der Galerie und in den schönen Räumen des Hauses hingen.
Zunächst hatte sich Dr. Franz Oppenheim 1886 an der Friedrich Karl- Straße (heute Am Sandwerder 17/19) eine große Villa bauen lassen, die er aber 1907 nach dem Tod seiner ersten Frau verkaufte. (Später war der Bankier Hans Arnhold der Besitzer; seit 1988 ist es Sitz der American Academy.) Im Gegensatz zu dieser Villa gab man sich 1907 bescheidener und sprach vom „Landhaus“, obwohl es 800 qm Wohnfläche aufweist!
Auch wenn heute das Haus leer steht, beeindruckt bereits der 1. Eindruck sehr. Vor dem Eingang sieht man noch den Rest einer alten Pergola, die – wie Herr Dierkes erklärt – die Form einer jüdischen Laubhütte aufwies. Dennoch hatten die Oppenheims den christlichen Glauben angenommen. Ihr Grabmal ist auf dem „Neuen Friedhof Wannsee“ zu finden.
Als erstes betreten wir die 24 m lange und 3,80 m breite Galerie, die wir uns sehr prächtig, mit Gold und vor allem mit den vielen Gemälden vorstellen müssen. Franz Oppenheim war ein weit gereister Mann, der wohl in dieser Empfangshalle an das Waldorf Astoria dachte. Die Oppenheims pflegten ein reges gesellschaftliches Leben und waren mit Arnholds und Poelzigs eng befreundet, und Max Liebermann wurde hier inspiriert. Rund zwanzig Jahre lang währte dieses niveauvolle gesellschaftliche Leben am Wannsee. Nachdem Franz Oppenheim 1929 und seine Frau Margarete 1935 starben und ihre Erben emigrieren mussten, bemächtigte sich 1938 der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) des Anwesens und richtete dort unter dem Tarnnamen „Institut für Altertumsforschung“ ein geheimes Ostforschungsinstitut ein, auch „Wannsee-Institut“ genannt, zu dem die SS-Leute in Zivil erscheinen mussten. Spätestens seit Sommer 1938 bereitete man hier den Krieg gegen Polen vor, und das Institut stellte geheimes Material über die Sowjetunion zusammen. 1940 wurde das Haus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unterstellt. Nach 1945 wurde das Anwesen wie auch die Liebermann-Villa als Krankenhaus genutzt. Später wurde das Gebäude vom Krankenhaus Wannsee für die auf dem Grundstück errichtete Krankenpflegeschule übernommen. 1972 hat die Schule das Gebäude geerbt, und ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass das damals leer stehende, vom Verfall bedrohte Landhaus Oppenheim nicht abgebrochen, sondern 1983 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Der Abriss der Nebengebäude und die Bebauung des Grundstücks mit Wohnblocks konnte indes nicht verhindert werden. Rund 25 Jahre lang, bis zum März 2009, beherbergte das Landhaus Oppenheim ein Drogentherapiezentrum. Nun steht es leer und harrt einer sinnvollen Nutzung.
Herr Dierkes zeigt uns in der Galerie wie auch in den Räumen des Erdgeschosses und der 1. Etage Bilder und Pläne seiner Ausstellung zu diesem großartigen Bau und macht uns immer wieder auf besondere Feinheiten aufmerksam. So können wir in der Galerie den glänzenden Marmorboden mit Schachbrettmuster und im Speisezimmer an der Decke florale Elemente – auch von Messel – und zuweilen auch noch das originale Parkett bewundern. Auf viele weitere Details weist Herr Dierkes immer wieder hin wie auf die Messingknäufe an den Türen und auf die Fenster-Formen. Solch eine liebevolle aufwändige Gestaltung eines Hauses heutzutage zu sehen, beeindruckt uns alle sehr!
Bei dem anschließenden Rundgang ums Haus erinnert nichts mehr an den einstigen Park mit dem Rosengarten von Willy Lange und der Gartengestaltung von Paul Baumgarten und Alfred Lichtwark. Aber das Haus selbst – nun auch von der Gartenseite – besticht durch seine Fassadengestaltung und sein Mansarddach. Das Mauerwerk trägt einen gelbbraunen Putz, und die Fenster- und Türöffnungen im Untergeschoss sowie die Gebäudeecken sind mit behauenen Muschelkalksteinen gefasst.
Dieses Landhaus sollte aber vor hundert Jahren nicht der vordergründigen Repräsentation dienen, sondern den individuellen Bedürfnissen seiner Bewohner. Man kann nur hoffen, dass endlich dieses Kleinod angemessen genutzt und seine architektonische Kostbarkeit entsprechend gewürdigt wird.
Frau Bolte dankt im Namen der anwesenden Vereinsmitglieder Herrn Dierkes sehr herzlich für sein Engagement, sich immer wieder dieses Hauses anzunehmen und heute seine Zeit dafür verwandt hat, unsere Gruppe durch das Haus und Gelände zu führen. Wir sind durch diesen Besuch um ein wesentliches Stück Wannseer Bau- und Zeitgeschichte bereichert worden.
Hannelore Bolte
(Fotos: Werner Siepman, Dr. Peter Lohe, „Villenkolonien in Wannsee 1870 – 1945. Großbürgerliche Lebenswelt und Ort der Wannsee Konferenz“, Haus der Wannseekonferenz 2000, S.46)