Auf Spurensuche in Berlin

Wir treffen uns mit Herrn Aribert Kutschmar an der Weltzeituhr am Alexanderplatz, auf dem man nicht ahnen kann, dass dies einmal eine grüne Wiese vor den Toren der mittelalterlichen Stadt Berlin war. Wir gehen durch die Brücke der 1882 eröffneten Stadtbahn, die viergleisig und mit 370 Bögen und Ziegelmauern in nur 12 Jahren gebaut wurde. Hier war einmal der Graben der vom Großen Kurfürsten nach dem 30-Jährigen Krieg erbauten mächtigen Festung. Sie wurde nie angegriffen und ab 1740 unter dem Soldatenkönig wieder abgerissen. Der Graben diente dann bis zum Bau der Kanalisation als Abwasserkanal.
Wir gehen an dem 1900 errichteten Gerichtsgebäude vorbei, das allein wegen seines Treppenhauses sehenswert ist. Die Fassade liegt an der Littenstraße, die etwa den Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer nachzeichnet und auf die der Chor der Ruine der Franziskanerkirche stößt. Nach 1200 kamen diese Bettelmönche in die Stadt und sorgten für Schulen und Spitäler. Bekannt wurde ihr Gymnasium „Zum Grauen Kloster“, das auch heute noch als bestes der Stadt angesehen wird und erst im 19. Jh. aus der Altstadt in die Nähe des Kurfürstendamms verlegt wurde. Die Ruine beeindruckt mit ihren gotischen Ziegelmauern und dem Maßwerk in den Fenstern im Chor. Eine aus der Kirche gerettete Kreuzigungsgruppe ziert nun unsere Kirche am Stölpchensee in Wannsee.
Am Podewilschen Palais vorbei kommen wir zur Parochialstraße und blicken auf das malerische Ensemble von drei Häusern am alten Restaurant „Zur letzten Instanz“. Die rückwärtigen Hausmauern sind die alte, von 1230 – 40 erbaute Stadtmauer, die zuerst bis 3,50 m mit Feldsteinen und später bis 6 m mit Ziegeln gemauert wurde. Erst nach dem Wegräumen der Trümmer wurde sie entdeckt. Man kann sich das einst dichte Gewirr von Häusern und engen Straßen heute nicht mehr vorstellen.
Wir blicken in den alten Friedhof der von Johann Arnold Nering im niederländisch/italienischen Stil geplanten Parochialkirche, deren Grundstein 1695 gelegt wurde. Sie war für die reformierten Protestanten bestimmt und wurde 1703 geweiht. Um das Glockenspiel, „Singuhr“ genannt, und seine brüllenden Löwen rankt sich die gruselige Geschichte, die zu den Sagen von Berlin gehört.
Am 1911 eröffneten riesigen alten Stadthaus vorbei erreichen wir den nun als Molkenmarkt bezeichneten großen freien Platz, auf dem einst die Häuser der Altstadt standen. Wir blicken zum neuen Nikolaiviertel, das zur 750-Jahrfeier der Stadt historisierend wieder aufgebaut wurde und das von den Türmen der Nikolaikirche beherrscht wird. Am Mühlendamm zeugen das Schwerinsche Palais und die Münze mit dem Fries von Schadow vom Glanz der Kaiserzeit, als die mittelalterliche Stadt schon längst verschwunden war.
Wir stehen dann auf der Mühlendammbrücke, wo einmal die Keimzelle Berlins war. Eine Furt durch die zwei Spreearme diente als Übergang einer wichtigen Handelsstraße von der Ostsee nach Süddeutschland. Später staute man die Spree 1,5 m für Mühlen auf, die bis ins 19. Jh. in Betrieb blieben. Mit der Entwicklung der Flussschifffahrt mussten dann Schleusen gebaut werden, die heute noch in Betrieb sind.
Am wieder errichteten Ephraimpalais vorbei kommen wir zu St. Georg, dem Drachentöter. Dort blicken wir über das für den Bau des Humboldtforums abgeräumte Gelände des ehemaligen Schlosses zum Berliner Dom. Er wurde Ende des 19. Jhs. unter Kaiser Wilhelm II. als Schlosskirche und Grablege der Hohenzollern errichtet und war vom Kaiser, der sich als Patron der Protestanten verstand, als Gegenstück zum Petersdom in Rom gedacht.
Vor der Nikolaikirche stehen wir dann am ältesten noch stehenden Bauwerk Berlins, erinnern uns an die wechselvolle Geschichte dieser bedeutenden Kirche, die nun als Museum eine eigene Führung verdient. Sonst sind nur noch drei weitere Originalgebäude vorhanden, von denen das Knoblauchhaus besonders sehenswert ist.
Vor dem Gasthaus „Zur alten Gerichtslaube“ erinnern wir uns an das alte Rathaus und das Original der Gerichtslaube, das jetzt im Park des Babelsberger Schlosses in Potsdam steht.
Am Roten Rathaus stehend, das oberitalienischen Palästen nachempfunden ist und das mit seinen Sälen vorwiegend protokollarischen Aufgaben dient, kann man sich nicht vorstellen, dass auf der davor liegenden großen Grünfläche bis zum Krieg das Zentrum des einstigen mittelalterlichen Berlins lag. Nur noch die Marienkirche gibt Zeugnis von dieser Vergangenheit, die nun bei Ausgrabungen aus Anlass des U-Bahnbaus wieder zum Vorschein kommt.
Vor der Kapelle des ehemaligen Heiliggeistspitals in der Spandauer Straße endet unser Rundgang durch die nicht mehr vorhandene Altstadt Berlins, die Herr Kutschmar aber mit großer Detailkenntnis und viel Humor wieder vor unseren Augen erstehen ließ.

Ulrich Locherer

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