Alte Rillen – Frisch aufgelegt Vereinsabend mit Shellackplatten

Herr Peter Tiegs, Vereinsmitglied seit vielen Jahren und bekannt durch humorvolle Beiträge bei besonderen Anlässen, bringt uns heute eine Musiksammlung ganz besonderer Art zu Gehör.
Das  Grammophon „His Masters Voice“ von 1926 fällt mit seinem großen und allen noch gut bekannten Messingtrichter sofort auf. Daneben nimmt sich das „Parlophone“von 1938 sehr viel bescheidener aus, ist aber nicht weniger wertvoll. Auf diesen zwei „Instrumenten“, werden uns, besonders gefühlvoll bedient von Frau Michaela Tiegs, beinahe hundert Jahre alte Schätze zu Gehör gebracht.
Ende des 19. Jahrhunderts. werden die ersten Grammophone entwickelt. Im Oktober 1896 gab der Erfinder und Unternehmer Emil Berliner die Verwendung von Hartgummi als  Plattenmaterial auf und ersetzte die Substanz durch eine von der Duranoid Company, Newark, New Jersey, USA, hergestellte Pressmasse, die im Wesentlichen aus Schellack bestand. Erst nach über 50 Jahren wurden die Schellack-Platten durch die PVC-Platten verdrängt. In Deutschland wurden noch bis 1958 Schellack-Platten gefertigt, die letzten sollen 1972 in Südafrika hergestellt worden sein.

An der Technik hat sich in all den Jahren nichts grundsätzlich geändert. Die Töne werden in Rillen unterschiedlicher Dicke auf den Platten gespeichert, die dann mit Nadeln, früher aus Stahl und dann aus Saphir, abgetastet werden. Angetrieben werden die Grammophone zuerst durch Uhrwerke, die regelmäßig mit Kurbeln aufgezogen werden müssen und bei denen die Lautstärke nicht geregelt werden kann. Elektromotoren und elektrische Verstärker sind dann die entscheidenden Neuerungen, die der Plattenmusik zum Durchbruch verhelfen.

Herr Tiegs zeigt seine älteste Grammophonplatte von 1907, die, wie alle ersten Platten, nur auf einer Seite bespielt ist. Wir sind erstaunt, wie robust sich die Platte anfühlt und wie unempfindlich sie zu sein scheint.
Die „Zonophon Record“- Platte der Firma Zonophone Company Frank Seaman (USA) von 1912 gehört zu seinen wertvollsten Stücken.
Wir erfahren etwas über die uns auch heute noch bekannten klangvollen Namen von Herstellern wie „Elektrola“, jetzt „EMI“, „Grammophon“ und „Deutsche Grammophon“ und Polydor. Nicht unerwähnt bleibt, dass das älteste deutsche Plattenwerk namens „homocord“ in Nowawes, jetzt Babelsberg, beheimatet war, wo die Tradition in anderer Form fortgeführt wird.

Herr Tiegs spielt uns dann 18 verschiedene Platten vor und wir erfreuen uns an vielen bekannten Melodien, Sängerinnen und Sängern, die durch die Eigenheiten der alten Technik einen fast vergessenen Hörgenuss vermitteln. Kratzer, unorthodoxe Geschwindigkeiten je nach „Aufzug“ des Uhrwerks lassen die Zuhörer schmunzeln und führen uns in längst vergangene Zeiten.

Die erste Platte mit dem Marsch „Frei weg“, gespielt von der „k.u.k Regimentskapelle“ auf einer Zonophon- Platte, bringt uns in Schwung. Danach lässt uns eine Wiener Salonkapelle auf einer Homocord“- Platte von 1928 mit „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ träumen und der Kabarettist L.M. Lommel bringt uns auf einer „Imperial“ von 1931 „Neugebauers Sprechstunde“.
Aus den goldenen 20er Jahren, der großen Zeit des Hotels „ADLON“, hören wir das BEWA Tanzorchester auf einer „Electrola“ mit „Helene hat’n Knall“. Benjamino Gigli singt für uns auf einer „Electrola“ die Perlenfischer von Bizet.
Eine besondere Rarität von 1933/34 ist die „British Rex“, auf der Grace Moore aus der Metropolitan Opera in New York  „One night of love“ darbietet.
Nachdenklich werden wir, als wir Richard Denemy gen. Richard Tauber mit seiner  Aufnahme der „Loreley“ hören. 1936 emigrierte R. Tauber nach London und nahm dort 1939 diese Platte auf, seinen vorletzten Titel in deutscher Sprache.
Die Staatskapelle Berlin kontrastiert mit Richard Wagners Ouvertüre zu „Tannhäuser“.
Leon Golzman, bekannt als Stehgeiger „Dajos Béla“, hören wir mit einer Aufnahme von 1929. Er  emigrierte während der Nazi-Zeit nach Argentinien.
Alfredo Arnoldo Cocozza, alias Mario Lanza, rührt uns mit dem Lied „Granada“ aus dem Film „Because you are mine“.

Aber auch eine Platte von „Amiga Sonderklasse“ aus der DDR von 1952 mit „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ ist in der Sammlung vertreten. Johann Heesters hören wir mit einer Aufnahme von 1940 aus dem „Maxim“,  und aus dem Film „La Habanera“ hören wir „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ von Zarah Leander (1937). Dann wird es zünftig berlinerisch mit dem Tanzorchester „William Greis“ von 1950 mit dem Wiener „Praterlied“, besser bekannt als der „Sportpalastwalzer“.

Über die Filmmusik aus „Der Dritte Mann“ von 1949 und Caterina Valente mit „Steig in das Traumboot der Liebe“, geht es zu Franz Eugen Nidl, besser bekannt als Freddy Quinn mit seinem „Brennend heißer Wüstensand“ von 1956.
Beschlossen wird der Abend mit Hans Carste und seinem Orchester, das uns zusammen mit den Berliner Sängerknaben mit „Auf Wiedersehen“ verabschiedet.

Wieder konnten wir einen ganz besonders schönen Abend erleben, der uns in unsere Jugend zurückführte, uns schmunzeln und lachen ließ, aber auch oft sehr nachdenklich stimmte.
Die Anwesenden bedanken sich mit lang anhaltendem Applaus bei Herrn und Frau Tiegs, die uns teilhaben ließen an ihrer ganz besonderen Sammelleidenschaft und uns mitnahmen in ihre Welt der Schellackplatten.

Ulrich Locherer

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